Bald bin ich Auslandsdiener – ein Kandidat berichtet

Seit ein paar Monaten bin ich nun im Verein Österreichischer Auslandsdienst und durfte bereits etwas Einblick in das Leben unserer GedenkdienerInnen, SozialdienerInnen und FriedensdienerInnen gewinnen. Einige konnte ich sogar schon persönlich kennenlernen und über ihre Arbeit berichten – Felix Bernfeld. All die vielen Tätigkeiten und Standorte, die über die ganze Welt verteilt – von Hiroshima bis La Gamba über Uppsala nach Auroville, bringen die unterschiedlichsten Orte, Menschen, Interessen und Arbeitsbereiche zusammen. Als Kandidat fühlt man sich anfangs vielleicht etwas überfordert und giert nach jeder kleinen Information, weil man ja nichts falsch machen will und alles wissen möchte. Gleichzeitig sehnt man sich, so schnell wie möglich in die Zukunft springen zu können, um auch in Straßburg wichtige politische Entscheidungen mitzuerleben, zusammen mit anderen in San Isidro bei Projekten zu helfen oder in Montreal mit Schulgruppen die Geschichte und die Schrecken des Holocausts zu bearbeiten. Ab 2020 darf auch ich mich zu den GedenkdienerInnen zählen, die über die Welt verteilt in Museen, Archiven, Gedenkstätten und Communty Centers arbeiten. Durch Zufall bin ich jedoch schon jetzt an meinem zukünftigen Einastzort, London gelandet. Hier werde ich voraussichtlich an der Wiener Library, der ältesten Einrichtung zur Holocaustforschung meinen Gedenkdienst antreten. Als Kandidat zum Gedenkdienst ist es unumgänglich, sich nicht nur tiefgründig mit dem Holocaust und unserer Geschichte zu befassen, sondern auch mit der Geschichte des jeweiligen Einsatzortes. Für mich bedeutet das, Wiener Library, London, England – die ersten geographischen Marker, die mir in den Sinn kommen, aber auch Gedächtnisorte, der vielen Jüdinnen und Juden die fliehen mussten. Wir beginnen daher am Jewish Museum London. Etwas abseits der Touristenströme, die zwischen dem ‚hippen‘ Camden Market und Mornington Crescent unterwegs sind, ist das Jewish Museum, das sich unscheinbar hinter der viktorianischen Häuserfront einer Seitenstraße befindet. Die ersten zwei Geschoße sind der jüdischen Kultur und Gschichte gewidmet. Die Dauerausstellung beginnt mit einer Weltkarte, auf der die vielen unterschiedlichen Aspekten und Traditionen des Judentums veranschaulicht werden. Anschließend erfahren die BesucherInnen mehr über das Judentum in England und London. Unterschiedliche Objekte werden von Informationsbildschirmen begleitet, an denen man interaktiv, RabbinerInnen unterschiedlicher Richtungen Fragen stellen kann. Im zweiten Geschoß eröffnen sich die Geschichten der jüdischen Communities in England und Europa aber auch Einzelgeschichten werden anhand von Briefen, Tagebüchern und Filmen wiederentdeckt. Zum Ende der Ausstellung finden sich Interviews mit Holocausüberlebenden, die ihre eigenen Erfahrungen der Folter, Flucht und Verfolgung widergeben. Anschließend daran ist bis 15 April 2018 die Sonderausstellung zu ‚Design On Britain‘. Die Sonderausstellung, die einige der berühmtesten Objekte Londons und Groß Britanniens zeigt, erschließt den BesucherInnen einen weiteren Aspekt des zwanzigsten Jahrhunderts. Den immensen Einfluss der jüdischen EmigrantInnen und Flüchtlinge auf viele Aspekte, die wir heute als ikonisch britisch verstehen. Design, Graphik, Muster, Konstruktionen und Entwürfe, die von jüdischen KünstlerInnen stammten; Das berühmte ‚Bus Stopp‘ und ‚Tube‘ Zeichen, das C&A Logo, die unverkennbaren ‚britischen‘ Stoffmuster der moderne sowie Designs der Penguin Books, aber auch vieles mehr, stammten von Jüdinnen und Juden. Die Ausstellung zeigt den wichtigen Einfluss und Wirkung der jüdischen KünstlerInnen, nicht nur jedoch „on Britain“ aber auch darüber hinaus. London bietet mit seinen vielen Museen und kulturellem Angebot eine Fülle von Veranstalltungen die schier unendlich sind. Hier fügt sich die Wiener Library mit seiner großen Bandbreite an Aufgaben sowohl in das Städtische Netz wie auch in seine globale Verantwortung. Die Wiener Library, wurde bereits bei seiner Gründung durch Alfred Wiener als ein Ort der Bildung, Archivierung sowie des Gedenkens entworfen. In diesem Zusammenhang arbeitet die kleine unscheinbare Bibliothek, die im Zentrum Londons, nur einen Steinwurf vom riesigen British Museum liegt, mit einer Vielfalt von anderen Organisationen zusammen. Als Bibliothek und Archiv bietet sie allen Personen die Möglichkeit der Forschung an Quellen und Literatur zum Holocaust. Sie arbeitet aber auch gleichzeitig mit unterschiedlichen Institutionen zusammen die, die Vielfalt der jüdischen Community in London und Großbritannien widerspiegeln. So sind von kleinen Comunity Centers aus ganz England aber auch internationale Forschungs- und Bildungseinrichtungen in dauerhaftem Kontakt und Zusammenarbeit mit der Library. Zwei Angebote die jederzeit und von überall genutzt werden können, sind die Online Ausstellungen der Wiener Library sowie die in Zusammenarbeit stehenden Seminare und Kurse des Centers for Holocaust Education der UCL. Der Bildungsauftrag der Wiener Library ist ein zentraler Aspekt der Aufgaben und die Fülle an Events und Ausstellungen spiegelt das gut wider. So kann war die Ausstellung „On British Soil“ eine ausführliche Auseinandersetzung der Leben von Opfern des Nationalsozialismus. Deren ringen um Anerkennung noch lange nach dem Krieg andauerte. „On British Soil“ zeigt die Geschichte von ZwangsarbeiterInnen, Juden und Jüdinnen, sowie politischen Gefangenen, die auf den Kanalinseln oft im britischen Geschichtsnarrativ vergessen werden. Es sind aber gerade diese einzelnen Geschichten die dem Gedenken und der Aufarbeitung des Holocausts eine weitere Tiefe und Ebene geben. Wenn ich 2020 meinen Gedenkdienst in London an der Wiener Library antrete, werde ich daher nicht nur ein neues Kapitel für mich beginnen, ich werde auch ein wichtiges Kapitel unserer Geschichte, und die Erfahrungen und Geschichten vieler einzelner Menschen aufschlagen. -Bericht geschrieben von Aria Askari