„Österreichischer Zivildiener in Auschwitz tätig“, De Volkskrant, 10.11.1992

10.11.1992

Projekt Beschreibung

„Österreichischer Zivildiener in Auschwitz tätig“

von unserer Berichterstatterin Maria Hendriks

Amsterdam – In Österreich ist es seit kurzem möglich, den Zivildienst im Ausland an Institutionen, die ein Symbol für den Kampf gegen den Nazismus sind, abzuleisten (Gedenkdienst). So ist zum Beispiel derzeit ein österreichischer junger Mann im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau in Polen und einer in Theresienstadt in der CSFR tätig. Ein weiterer Zivildiener arbeitet seit Montag in der Anne-Frank Stiftung in Amsterdam. Ein Politologe der Universität Innsbruck, Andreas Maislinger, hat sich in den letzten 15 Jahren für diese Form des Zivildienstes eingesetzt. Österreich hat als Staat nicht am Zweiten Weltkrieg teilgenommen, denn es war seit 1938 von Deutschland annektiert und war nach der Meinung vieler Österreicher damit das erste Opfer des Nationalsozialismus. Viele Österreicher haben sich der Kriegsverbrechen schuldig gemacht. In den Niederlanden kennt nahezu jeder die Namen Seyss-Inquart und Rauter. Und daß nicht alle Österreicher unschuldige Opfer waren, weiß die Welt vor allem seit Kurt Waldheim, dem österreichischen Bundespräsidenten, der seine Kriegsvergangenheit verschwieg und der, als sie aufgedeckt wurde, trotzdem von den Österreichern gewählt wurde. Indem es die Möglichkeit gibt, den Zivildienst bei Gedenkstätten in Ländern, die von den Nazis schwer heimgesucht wurden, erkennt Österreich an, daß das Land sowohl Opfer als Täter zählte, so Maislinger am Montag in Amsterdam. Parlamentsabgeordneter Walter Guggenberger (SPÖ) war mitgereist, um zu unterstreichen, „daß in Österreich nicht nur Jugendliche wohnen, die jüdische Gräber beschmieren, aber auch engagierte Jugendliche, die der guten Sache dienen wollen.“ Cor Suijk, von der Anne Frank Stiftung bezeichnet den Dienstantritt des österreichischen Gedenkdieners als „einen Höhepunkt“, weil die Stiftung zu verkünden versuche, daß aller Rassismus immer dort anfange, wo alle Mitglieder einer Volksgruppe in einen Topf geworfen würden. Der Vater von Anne Frank habe ihm das damals deutlich gemacht.   Ausstellung Suijk sei aus dem Krieg gekommen mit Haßgefühlen gegen Deutsche und Österreicher. “ Weißt du überhaupt“, habe ihn Otto Frank ihn damals gefragt, „daß zwei der vier Menschen, die uns beim Untertauchen halfen, Österreicher waren: Miep Gies und Victor Kugler (Kraler bei Anne Frank)?“ Suijk zieht nun sei bereits einigen Jahren mit einer Ausstellung der Anne Frank Stiftung durch die Welt, mit der er versucht klarzumachen, daß man nicht von „Deutschen“, „Arabern“ und „Juden“ reden sollte. Die Gesetzesnovelle, die den Gedenkdienst ermöglicht hat, wurde vom österreichischen Parlament einstimmig beschlossen. Dies sei aber darauf zurückzuführen, so Maislinger, daß der Gesetzesartikel im Zuge der Verlängerung der Zivildienstzeit miterledigt worden sei. Als selbständige Novellierung hätte dieser gewiß nicht so viele Stimmen bekommen. „Aber es ist auch nicht so, daß jeder dagegen ist,“ so der Politologe. Auch heute gibt es gute und schlechte Österreicher. Einerseits sagt das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten: Sollte man das denn an die große Glocke hängen? Andererseits wird der Gedenkdienst vom Ministerium für Inneres finanziert. Einigen Ministern sagt das Projekt sehr zu, weil sie nun in Israel und de Niederlanden sagen können, ihr Land sei nicht untätig.“ Das hat die Chefredakteurin des “ Nieuw Israelietisch Weekblad“, Tamarah Benima, in die falsche Kehle bekommen. “ Sollte ich froh sein mit drei Gedenkdienern, während überall in Österreich der Antisemitismus aufflammt und sonst nichts geschieht?“ Maislinger will sich nicht zu positiv geben, aber inzwischen hätten sich nicht weniger als 150 junge Männer angemeldet. Er sei zwar in all den Jahren kaum unterstützt worden, jetzt klopft man ihm ununterbrochen auf die Schultern. „Wo sind denn die guten Österreicher alle“, möchte Benima wissen. „Ach“, seufzt Maislinger, „so verhalten Menschen sich doch immer, wenn sie nicht sagen können, daß es ihre Idee war, setzen sie sich auch nicht dafür ein. Aber an seiner Universität hat ein Universitätsprofessor z.B. eine Ausstellung über den Holocaust veranstaltet. Und die Presse stand immer zu ihm.“ Erklärt der Politologe.

Projekt Details

  • Datum 8. August 2016
  • Tags Pressearchiv 1992

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