Dienstpflichtiger Österreicher bei der Anne Frank Stiftung, De Telegraaf, 10.11.1992

10.11.1992

Projekt Beschreibung

Dienstpflichtiger Österreicher bei der Anne Frank Stiftung

 
Amsterdam, Dienstag Einer begrenzten Anzahl von Leuten wird eine alternative Form der Dienstpflichterfüllung angeboten. Seit September können sie statt dessen bei Einrichtungen im Ausland, die dem Holocaust gedenken, Arbeit verrichten.   Der 18-ährige Österreicher Stephan Schirl kam nach Amsterdam, um hier ein Jahr bei der Anne Frank Stiftung zu arbeiten. Zwei andere Österreicher gingen nach Auschwitz-Birkenau und Theresienstadt. Österreich zeigt hiermit, daß es sich die Konfrontation mit der Kriegsvergangenheit nun doch zutraut. Das Land bekennt, daß große Fehler gemacht worden sind, aber hofft auf diese Weise zeigen zu können, daß deswegen nicht alle Österreicher „falsch“ sind. Das sagte Andreas Maislinger, Initiator dieser auffalenden Form von Wehrdienstersatz, gestern Mittag auf einer Pressekonferenz.   Nicht Gut Cor Suijk, Direktor der Abteilung für internationale Zusammenarbeit bei der Anne Frank Stiftung unterstrich, daß Stephan Schirl auch für die Stiftung eine sehr wichtige Rolle spielt; „Natürlich war eine große Anzahl Österreicher AN DEN Verbrechen während des zweiten Weltkrieges beteiligt, und es ist wichtig, daß das anerkannt wird. Wir müssen jedoch aufpassen, in diesem Zusammenhang nicht von “ den Österreichern“ zu sprechen. Hitler sprach stets von “ den Juden“ und heute haben wir es sehr leicht über “ die Araber“ , “ die Türken“ ; das ist nicht gut.“ Aus eigener Erfahrung weiß Suijk, wie einfach es ist, eine ganze Gruppe von Menschen über einen Kamm zu scheren, aber er weist darauf hin, daß gerade darin die Grundlage des Rassismus liegt. Stephan Schirl ist für ihn ein lebendes Beispiel dafür, daß dieses Generalisieren, ein Prozeß vor dem die Anne Frank Stiftung schon jahrelang warnt, falsch ist.   Otto Frank Kurz nach dem Krieg sprach Suijk selbst auch noch regelmäßig von „den Deutschen“ und „den Österreichern“. Es war Otto Frank, der Vater von Anne, der ihn damals darauf hinwies, wie falsch das war; „In der Zeit, in der wir untergetaucht waren, wurde uns von vier Menschen geholfen; Menschen, die ihr Leben aufs Spiel setzten. Bedenke, daß zwei von ihnen österreichischer Herkunft waren“, warnte er. Stephan Schirl betont, daß er sich persönlich nicht schuldig fühlt: „Ich komme nicht hierher, um etwas gutzumachen, denn wie soll das auch möglich sein.“ Er hofft jedoch, mit seiner Arbeit einen Beitrag leisten zu können, daß ähnliche Geschehnisse sich nicht mehr wiederholen. „Dafür fühle ich mich verantwortlich, es ist wichtig, die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden.“ Er findet, daß auf einer Schule ganz offen über die Kriegsvergangenheit seines Landes gesprochen wurde. In den Diskussionen während der Geschichtsstunden wurde die Rolle der Österreicher nicht nur als Opfer, sondern auch als Täter besprochen.

Projekt Details

  • Datum 8. August 2016
  • Tags Pressearchiv 1992

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