Katholische Nachrichten Agentur (München) – 1. Oktober 2002 / Ein Retter als Erfüllungsgehilfe

01.10.2002

Projekt Beschreibung

Ein Retter als Erfüllungsgehilfe Tagung in Braunau weckt Zweifel am „österreichischen Schindler“ von KNA-Mitarbeiter Bernd Buchner Braunau (KNA) Oskar Schindler war nicht der einzige Retter von Juden – und doch sind es viel zu wenige gewesen. Wer den vom NS-Regime verfolgten Menschen helfen wollte, brauchte vor allem Mut und Todesmut, damals nicht eben verbreitete Tugenden. Seit Steven Spielbergs Filmepos „Schindlers Liste“ gilt der Retter von 1.200 Menschen als Inbegriff des modernen Helden. Zwei andere Helfer standen unter dem Motto „Wenige Gerechte?“ im Mittelpunkt der jüngsten Zeitgeschichte-Tage am Wochenende in Braunau am Inn: die österreichischen Katholiken Anton Schmid (1902 bis 1942) und Josef Schleich (1900 bis 1949). Schmid wurde, wie Oskar Schindler, bereits in den 60-er Jahren von der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Etwa 350 Deutsche haben die Auszeichnung bisher erhalten. Die Namen der 83 Österreicher waren während der Tagung bei einer Gedenkaktion vor Hitlers Geburtshaus auf Schildern zu lesen, die von Jugendlichen hochgehalten wurden. Schleichs Name fehlte noch – die zuständige Kommission von Yad Vashem entscheidet voraussichtlich im Oktober darüber, ob er in den Kreis der „Gerechten“ aufgenommen wird. Ausreise gegen Geld In Braunau sind erhebliche Zweifel daran entstanden. Denn Schleich der schon als „österreichischer Schindler“ bezeichnet wird, war Judenretter und NS-Erfüllungsgehilfe in einem. Er richtete nach 1938 ein Schleppernetz ein, mit dem er mehr als 20.000 Juden überwiegend nach Jugoslawien schmuggelte. Doch die Historiker Walter Brunner (Graz) und Andreas Disselnkötter (Dortmund) wiesen auf die Zweischneidigkeit des Falls hin. Die Menschentransporte seien unter Billigung von NSDAP und Gestapo geschehen, Täter- und Opferinteressen hätten sich nicht unterschieden. Schleich habe eine Art Reisebüro unterhalten und von den Juden Geld verlangt. „Er hat gut verdient dabei“, sagte Brunner. Eine moralische Entscheidung sei unmöglich, meinte auch Disselnkötter, der für Yad Vashem ein Gutachten erstellt hat. Bei dem Wiener Anton Schmid liegen die Dinge klarer. Der Feldwebel brachte 1941/42 hunderte von Juden aus dem Ghetto im litauischen Wilna nach Weißrussland und rettete sie dadurch vor der unmittelbaren Bedrohung. Er wurde entdeckt und im April 1942 hingerichtet. Das Motiv seines Handels lag hauptsächlich in seinem Glauben. Allerdings, darüber waren sich die Teilnehmer der Konferenz einig, gilt die Zugehörigkeit zu einer Konfession noch nicht als Garant für Widerständigkeit. Der Freiburger Militärhistoriker Wolfram Wette machte auf ein methodisches Problem aufmerksam: „Wir werden auch künftig nicht herausfinden, ob die katholische oder protestantische Sozialisation wichtig für das spätere Rettungshandeln war.“ Zu Beginn der dreitägigen Veranstaltung hatte Wette auf die Erinnerungskultur in Deutschland und Österreich hingewiesen. Obwohl der Fall Anton Schmid schon früh publik geworden war und sogar verfilmt wurde, sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis eine breite Öffentlichkeit Kenntnis nahm. Im Jahr 2000 wurde im norddeutschen Rendsburg eine Schule der Bundeswehr nach Schmid benannt, in Wien und im israelischen Haifa gibt es Straßennamen. „Seit einigen Jahren können wir ein erfreuliches öffentliches Interesse an widerständigen Helfern und Rettern aus der Wehrmacht konstatieren“, sagte Wette. Die Braunauer Zeitgeschichte-Tage liegen also im Trend. Der örtliche Geschichtsverein hatte die Reihe Anfang der 90-er Jahre ins Leben gerufen, um das negative Image von Hitlers Geburtsstadt etwas abzumildern. Aufsehen erregte die Konferenz bereits 1995 mit dem Fall Franz Jägerstätter. Der oberösterreichische Landwirt verweigerte unter Hinweis auf seinen katholischen Glauben den Kriegsdienst in der Wehrmacht und wurde hingerichtet. Die Kirche hielt sich zurück. Dass sie zu den Verbrechen im NS-Regime zu lange geschwiegen habe, ist auch der zentrale Vorwurf im neuen Buch des umstrittenen US-Politologen Daniel Goldhagen. Im Fall Jägerstätter gibt es immerhin postume Bewegung: Der Seligsprechungsprozess für ihn ist angelaufen.

Projekt Details

  • Datum 16. Juni 2016
  • Tags Pressearchiv 2002

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