Projekt Beschreibung
Ein Beitrag für mehr Toleranz
BRAUNAU / Vor zehn Jahren war das „Experiment„ noch umstritten: beiZeitgeschichte-Tagen sollten sich die Braunauer mit der Vergangenheit auseinandersetzen, speziell mit ihrem „unerwünschten Erbe„ als Hitlers Geburtsstadt. Die Veranstaltung hat sich mittlerweile einen guten Ruf erworben und einen Beitrag für mehr Toleranz, gegen Ausgrenzung und für den Frieden geleistet. Im Rundschau-Interview mit Redaktionsleiter Reinhold Klika blicken die drei Initiatoren der Zeitgeschichte-Tage – Vereinsobmann Mag. Florian Kotanko, der wissenschaftliche Leiter Dr. Andreas Maislingerund Bürgermeister Gerhard Skiba – auf bisher Erreichtes zurück und verraten die Pläne für die Zukunft.
Was ist Ihr Resumee über die 11. Zeitgeschichte-Tage? Welche Erkenntnisse haben die Diskussionen über „Wenig Gerechte„ gebracht?
MAISLINGER: Unser Hauptreferent, Professor Wolfram Wette aus Freiburg, hat uns gleich zur Eröffnung bestätigt, dass wir– wie bei früheren Tagungen – wieder einmal den richtigen Zeitpunkt getroffen haben. In den vergangenen Monaten wird immer mehr über Menschen berichtet, die unter Gefährdung ihres Lebens Juden gerettet haben. Diese von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern„ ausgezeichneten Nicht-Juden finden endlich die Beachtung, die ihnen während Jahrzehnten nicht zugestanden worden ist. Es ist an der Zeit, über Roman Erich Petsche, Anton Schmid und die gar nicht so wenigen österreichischen Gerechten öffentlich zu sprechen. Zuerst müssen jedoch die Namen bekannt werden. Unsere Kundgebung vor dem Geburtshaus von Adolf Hitler sollte diese Erkenntnis nach außen tragen.
Die Zeitgeschichte-Tage wurden vor zehn Jahren aus der Taufe gehoben, damit sich die Braunauer mit der Vergangenheit beschäftigen. Ist das gelungen?
KOTANKO: Was die Teilnehmerzahlen betrifft, ist die Tendenz steigend. Die Thematik ist aktuell und oft Gesprächsthema. Der Bekanntheitsgrad der Veranstaltung (Nachhaltigkeit der Information/Werbung) muss aber noch verbessert werden. Das „Geschichtsnetzwerk„ wird enger geknüpft werden. Manche Aktivitäten, zum Beispiel Konzerte im kulturellen Rahmenprogramm, werden nicht mit dem Verein für Zeitgeschichte und seinen Exponenten in Verbindung gebracht.
Welche Akzeptanz hat die Tagung in Braunau selbst und international?
SKIBA: Die Akzeptanz, auch zum Ausdruck gebracht durch die Teilnehmerzahl an der Tagung, steigt bzw. stieg im Laufe der Jahre an. Sie ist aber noch nicht so, dass man zufrieden sein kann. International ist die Aufmerksamkeit recht groß. Das Interesse deckt sich mit unserer Absicht, die wir mit der Veranstaltung verfolgen, weitgehend.
Die Zeitgeschichte-Tage werden von der SPÖ, der ÖVP und dem FMU unterstützt, nicht aber von der FPÖ. Stört Sie das oder wäre es für den Verein von Vorteil, auch die Freiheitlichen im Boot zu haben?
KOTANKO: Die Möglichkeit der Mitarbeit im Verein wurde und wird angeboten, aber nicht genützt. Die Argumentation der Ablehnung läuft eher auf der persönlichen Ebene, weniger auf der Sachebene. Der Vorwurf, die Zeitgeschichte-Tage würden sich ausschließlich mit der NS-Zeit beschäftigen, ist objektiv nicht haltbar. Ein Gespräch mit der Europaabgeordneten Daniela Raschhofer hat stattgefunden. Es mag sein, dass Veränderungen in der FPÖ auch eine Veränderung der Position uns gegenüber nach sich ziehen können, was ich durchaus begrüßen würde.
Die Veranstaltung im September ruft stets großes Echo hervor. Wie schaut´s jedoch mit Aktivitäten während des Jahres aus, etwa Projektarbeiten mit Schülern?
KOTANKO: Projekte mit Schulen haben immer wieder stattgefunden, etwa „Zeitgeschichte entdecken„, „Pendler„ oder Vermittlung von „Zeitzeugen„.
Der Verein für Zeitgeschichte und die Braunauer Parteien haben im Frühjahr 2000 aktiv die Rundschau-Initiative „Braunau setzt ein Zeichen„ unterstützt. Was soll nun wirklich mit dem Hitler-Haus geschehen?
SKIBA: Die Umsetzung der Absicht ist voll aufrecht. Die Verfügbarkeit des Hauses wird jedoch erst zu einem späteren, noch nicht bestimmbaren Zeitpunkt gegeben sein. Die Interessen und der Bedarf der Lebenshilfe müssen berücksichtigt werden.
Zur Zukunft der Zeitgeschichte-Tage: Welche Themen sind für die nächsten Jahre geplant?
KOTANKO: Nachstehende Auflistung gibt nicht die genauen Titel, sondern die thematischen Orientierungen an: 2003 beschäftigen wir uns mit „100 Jahre Rathaus Braunau„ und ziehen einen Vergleich mit der kommunalen Situation in diesen 100 Jahren mit den Partnern Broumov (Tschechische Republik) und vermutlich Lavarone (Trentino). Weiters geplant: Die 30er-Jahre im Innviertel und im angrenzenden Bayern (2004); 300 Jahre nach dem „Braunauer Parlament„ von 1705, politische Mitwirkung (2005) und Instrumentalisierung von Personen am Beispiel von Philipp Palm (2006).
Was sind die weiteren Pläne des Vereins, abgesehen von der Organisation der Zeitgeschichte-Tage?
KOTANKO: Hauptaktivität bleibt natürlich die Planung der Zeitgeschichte-Tage. Weiters treten wir verschiedentlich als Mitveranstalter (Mahnstunde im Mai etc.) auf. Das „Oral History Projekt„ ist im Anlaufen, zum Beispiel Anton Platt, der 1945 als Dolmetscher an den Übergabeverhandlungen teilgenommen hat und dann im Auftrag der Amerikaner in Ranshofen tätig war. Weiters geplant: Transkription und damit Lesbarmachung der Gemeinderatsprotokolle sowie als Langzeitprojekt Arbeiten zur Erstellung einer modernen Stadtgeschichte (Fernziel 2010 – 750 Jahre Stadt Braunau). Die Realisierung des Projekts „Haus der Verantwortung„ ist nicht aktuell, solange die Nutzung des Hauses durch die Lebenshilfe notwendig ist. Im Internet ist das Vorhaben aber schon präsent.
Ein Jahrzehnt intensive Beschäftigung mit der Vergangenheit – ein Verdienst des Vereines. Was ist heute in Braunau anders, besser als vor zehn Jahren?
SKIBA: Das Gefühl, einen der Aufmerksamkeit für unsere Stadt entsprechenden besonderen Beitrag für mehr Toleranz, gegen Ausgrenzung und für den Frieden bzw. gegen eine Wiederholung schrecklicher Entwicklungen und Ereignisse zu leisten, ist ein sehr gutes. Das ist anders und besser als noch vor zehn Jahren.
KOTANKO: Beschäftigung mit der Vergangenheit ist nicht nur ein Verdienst des Vereines – wir könnten ohne Unterstützung nicht viel ausrichten; daher ist ein wesentlicher Punkt die Kooperation vor allem mit der Stadt, die Unterstützung auch durch Land und Bund. Der Verein will Anstöße geben, dass sich mehr Menschen mit Geschichte beschäftigen – das scheint in gewissem Ausmaß gelungen. Manche Menschen können vielleicht Berührungsängste noch nicht überwinden, aber wir werden immer öfter auch von Einzelpersonen kontaktiert, die Informationen über die Geschichte Braunaus wünschen; dabei geht das Interesse weit über die NS-Zeit hinaus. Anregungen werden bereitwilliger aufgenommen, das ist sicher anders. Der Name Braunau wird immer öfter nicht nur mit Hitler assoziiert, sondern die Anerkennung der Tätigkeit der Stadt und des von ihr nicht zu trennenden Vereines ist weiter verbreitet, als man gemeinhin glauben möchte. Das würde ich als „besser„ einstufen.
MAISLINGER: Nach zehn Jahren sind die Zeitgeschichte-Tage, ist die Auseinandersetzung mit dem schweren Erbe des Nationalsozialismus, in Braunau eine Selbstverständlichkeit geworden. Das ist jedenfalls der Eindruck unserer Referenten und Gedenkdiener. In vielen anderen Orten mit einem „Unerwünschten Erbe„ ist das (noch) nicht so.
Projekt Details
- Datum 16. Juni 2016
- Tags Pressearchiv 2002