Interview mit Dr. Andreas Maislinger, Die Gemeinde 6 Tewet 5743

22.12.1982

Projekt Beschreibung

Interview mit Dr. Andreas Maislinger

Jahrgang 1955, Politikwissenschaftler an der Universität Innsbruck (Institut Prof. Anton Pelinka)

Die Gemeinde: Wie kamen Sie – ein junger Österreicher, Christ und Sozialist – zu Ihrem Engagement in Sachen „Juden in Österreich“ und „Ausgleich zwischen Juden und Palästinensern in Israel“? Dr. Maislinger: Es ist nicht ganz einfach, den genauen Anfang meines Interesses, meines Engagements, zu datieren. Sicherlich hatte es viele Gründe. Der erste: Ich war oft mit meinem Vater beisammen und er hat mir vom Krieg erzählt. Die Gemeinde: War Ihr Vater deutscher Soldat oder Offizier? Dr. Maislinger: Er war Gefreiter in der Wehrmacht. Was jetzt für mich besonders wichtig ist, wenn ich mich zurückerinnere: Wenn er vom Krieg erzählt hat, hat er dies nicht so getan wie die anderen Soldaten, die ich imGasthaus meiner Eltern von ihren „Heldentaten“ erzählen hörte. Mein Vater sah sich nicht als Held, er sprach auch mehr von den Gegnern und der Hilfe, die er von ihnen erhalten hat, als er zwei Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft verbringen mußte. Für mich gab es also schon sehr frühzeitig nicht dieses übliche „Feinddenken“; ganz im Gegenteil, ich sah in den „Russen, Polen“ und dann später (und das begreife ich erst jetzt) auch in den „Juden“ nicht Völker, von denen wir bedroht werden oder die uns durch ihre Fremdheit Angst einflößen, für mich entstand damals ein sehr starkes Interesse für dieses „Fremde“. Die Gemeinde: Und wie wurden Sie Pazifist, wann sind Sie zu dem Schluß gekommen, daß man nicht die Waffe ergreifen soll? Dr. Maislinger: Pazifist mußte ich nie werden, ich denke hier umgekehrt: die Frage müßte gegenüber einem Soldaten lauten: „Wann wurden Sie vom Menschen zum Soldaten?“ Das soll heißen, ich bin einfach das geblieben oder versuche das zu bleiben, was ich schon als Kind, besonders von meinem Vater, zu sein begriffen habe. Die Gemeinde: Man kann also sagen, daß Ihr Elternhaus kein gewöhnliches Elternhaus war, daß ihr Vater eigentlich eine außerordentliche Persönlichkeit gewesen ist? Hat so etwas in einer kleinen Salzburger Ortschaft nach dem Krieg nicht Anstoß erregt? Dr. Maislinger: Das wäre ganz sicherlich so gewesen, hätte mein Vater seine Gedanken auch immer ausgesprochen und konsequent danach gelebt. Die Gemeinde: Können Sie uns über Ihren beruflichen Werdegang erzählen? Dr. Maislinger: Ursprünglich getraute ich mich nicht, meinen Interessen folgend sogleich politische Wissenschaften zu studieren, da ich aus Angst vor der drohenden Arbeitslosigkeit ein „Brotstudium“ wählen mußte. Ich studierte also für das Lehramt Germanistik und als zweite Absicherung Rechtswissenschaften. Erst mit zunehmendem Selbstbewußtsein folgte ich gänzlich meinem Interesse und ließ Zukunftsängste außer Acht. Durch die Folgen meiner Wehrdienstverweigerung aus ausschließlich emotionalen und religiösen Gründen herausgefordert, beschäftigte ich mich zunehmend mit Problemen der Verteidigungspolitik. Als „Drückeberger“ und „Vaterlands- verräter“ verspottet und beschimpft, mußte ich nach Argumenten für eine andere Sicherheits- und Friedenspolitik suchen. Aus dieser Situation heraus schrieb ich daher meine Dissertation über Probleme der öster- reichischen Verteidigungspolitik. Die Gemeinde: Wie kamen Sie auf die Idee, nach Auschwitz zu gehen und dort Zivildienst zu leisten? Dr. Maislinger: Dafür gab es mindestens drei Gründe. Zum ersten war ich durch meine Studien im Ausland angeregt worden, auch für längere Zeit in einem anderen Land zu arbeiten. Für den Freiwilligendienst der „Aktion Sühnezeichen“ in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau sprach vor allem folgendes: Seit meinem ersten Polenaufenthalt im Herbst 1976, bei welchem ich mit meiner polnischen Freundin aus Bielsko-Biala in das benachbarte ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau fuhr, beschäftigte mich der Gedanke, daß ich mich als Österreicher damit intensiv auseinandersetzen müsse. Ich begriff sehr bald, daß gerade wir Österreicher uns aus der Geschichte „herausmogeln“ versuchen – wie es der Jerusalemer Historiker Walter Grab in einem Brief an mich ausdrückte. Konkret ergab sich dann die Möglichkeit, diese Auseinandersetzung in der Tätigkeit bei „Aktion Sühnezeichen“, welche ich während meines Studienaufenthaltes in Westdeutschland kennenlernte zu suchen. In diesem Freiwilligendienst sah ich eine wirkliche Alternative zum Militärdienst im österreichischen Bundesheer. Ich wollte nicht nur verteidigen, sondern mich mit Gründen eines möglichen zukünftigen Konfliktes auseinandersetzen. „Wer sich mit der Geschichte nicht auseinandersetzt, ist gezwungen, sie noch einmal zu erleben“, (frei nach Santanyana). Die Gemeinde: Wie lange und unter welchen Umständen haben Sie in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau gearbeitet? Dr. Maislinger: Während acht Monaten, konkret in der Zeit zwischen September 1980 und April 1981, habe ich westdeutsche Gruppen in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau begleitet. Die Gemeinde: Österreicher waren keine dabei? Dr. Maislinger: Nein. Für uns Österreicher stellt sich aus, wie ich meine, verlogenen Gründen das Problem anders. Junge Österreicher – ich habe viele gesehen – fahren nicht nach Auschwitz als Töchter und Söhne von Verantwortlichen oder Schuldigen, sondern als solche von Opfern. Die Gemeinde: Sie meinen, daß die Österreicher 1938 von den „bösen Deutschen“ vergewaltigt worden sind? Dr. Maislinger: So jedenfalls ist die offizielle Darstellung in der „Österreich-Ausstellung“, welche u.a. auch vom österreichischen Auschwitz-Komitee eingerichtet worden ist. Schließlich steht gleich neben dem Eingang zu lesen: „März 1938, Österreich erstes Opfer des Faschismus“. Auch in der Folge ist nach einem aufmerksamen Rundgang durch die Ausstellung wenig, ja gar nichts von österreichischen Henkern zu sehen, sondern nur Berichte und Bilder von Opfer österreichischer Herkunft. Die Gemeinde: Welche waren Ihre Erfahrungen mit den Besuchern aus der Bundesrepublik Deutschland? Dr. Maislinger: Am stärksten ist mir eine starke, die ganze Person betreffende, Auseinandersetzung mit diesen in Auschwitz begangenen Verbrechen in Erinnerung. Von meiner Studienzeit in Westdeutschland her kannte ich eher eine ausschließlich obligatorische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Hier jedoch traf ich junge Menschen, die sich nicht nur mit dem Kopf, sondern auch gefühlsmäßig einlassen wollten. Dies fand besonderen Ausdruck in unserer Arbeit. Wir lasen nicht nur Dokumente und Bücher, sprachen nicht nur mit ehemaligen Häftlingen, sondern versuchten, durch körperliche Arbeit zu verhindern, daß Gras über diese Stätte wächst. Dies ist wörtlich zu verstehen, denn wir haben auf dem großen Gelände tatsächlich auch Gras und Unkraut gerupft. Gerade diese körperliche Arbeit schuf einen Kontakt zu den Angehörigen von Ermordeten bei ihren Besuchen des Vernichtungslagers. Die Gemeinde: Das österreichische Innenministerium hat, glaube ich, diesen Dienst in Auschwitz nicht als Zivildienst anerkannt; warum nicht? Dr. Maislinger: Dafür gibt es viele Gründe. Zuerst möchte ich die nennen, die ich anerkennen muß. Es sind rechtliche Gründe. Ein Zivildienst kann nicht im Ausland abgeleistet werden, jedoch selbst dafür gäbe es eine Möglichkeit einer Ausnahmeregelung. Schließlich werden auch Entwicklungshelfer nachträglich anerkannt bzw. wenn schon nicht als Zivildiener anerkannt, so müssen sie doch nach ihrem Entwicklungshelfer-Dienst keinen anderen Zivildienst mehr leisten. Aber es geht ja nicht nur um rechtliche Probleme. Mein „Zivildienst“ in Auschwitz wirft politische Fragen unserer Identität als Österreicher auf. Da alle Österreicher als „Opfer des Faschismus“ gelten, kann ich als Sohn von „Opfern des Faschismus“ in Auschwitz keinen Sühndienst leisten, dies würde der offiziellen Staatsdoktrin Österreichs widersprechen… Die Gemeinde: Ist die offizielle österreichische Außenpolitik auch deswegen so kritisch in Bezug auf Israel, weil man hofft und glaubt, die österreichische Vergangenheit zwischen 1938 und 1945 auf diese Weise bewältigen zu können? Konkret: Unter den Henkern in Auschwitz war eine überproportional hohe Anzahl von Österreichern. Dr. Maislinger: Sicherlich: Unaufgearbeitete und daher unbewältigte Geschichte führte zwangsweise zu Fehlverhalten und Ungereimtheiten in der Gegenwart. Die Gemeinde: Wir danken für das Gespräch.

Projekt Details

  • Datum 7. Juli 2016
  • Tags Pressearchiv 1979 - 1990

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