Nicht nur Helfer, sondern Teil der Community – Gedenkdienst am Holocaust Survivors Centre in London

Es ist 19 Uhr oder wie man hier sagen würde „7pm“. Draußen ist es bereits dunkel und die Londoner Innenstadt hat sich vom hektischen Durchmisch von Touristen, Studierenden und jeder Menge unterschiedlicher „Businesspeople“ in eine ruhige Kleinstadt verwandelt. Die Pubs sind voll und so auch die Bar der „Institute of Education“.

Hier treffe ich Felix Bernfeld, der gerade mit seinem Fahrrad aus Hendon, einem der nordwestlichen Teile Londons, angerauscht kommt. Als Wiener muss ich ihn natürlich gleich darauf ansprechen, wie er das mit dem Rad schafft – zwischen den Doppeldeckerbussen und den tausenden Autos und wenn dann noch ein Kreisverkehr irgendwo unverhofft auftaucht?

Für Felix ist das aber keine große Sache und außerdem erfahre ich, dass die Londoner anscheinend doch um einiges netter seien und das Fahrradfahren in London sehr leicht und einfach sei. Und das obwohl die Distanzen um einiges größer sind, als in den vergleichsweise „überschaubaren“ Hauptstädten Kontinentaleuropas.

Wir haben uns aber hier getroffen um über Felix Arbeit in London zu reden. Und irgendwie passt sogar der Ort; – Wir sind im Untergeschoß eines riesigen, monumentalen Universitätsgebäudes aus der britischen Nachkriegsmoderne der 70er Jahre. Ein verschlungener Komplex aus Zement mit Terrassen, Vorplätzen, Nischen und offenen Räumen. Ein Ort, wo man sich in ein Plätzchen mit niedriger Decke und warmen Holzvertäfelungen zurückziehen kann, oder in großen nüchternen Räumen mit ihrer hallenden Stille Freunde treffen und lernen kann.

Felix an seinem ersten Arbeitstag. Als Gastgeschenk überreichte er dem HSC Marko Feingolds Buch „Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh“

Felix Bernfeld ist 21 Jahre alt und studiert eigentlich Technical Engineering in Wien an der TU. Seit diesem September arbeitet er aber als Gedenkdiener für fast ein Jahr am Jewish Care am Holocaust Survivors’ Center (HSC) in London.

Das HSC ist ein Community Center im Herzen des jüdischen Viertels. Hier ereignen sich für viele Survivors alltägliche, kulturelle und besondere Veranstaltungen. Und als Gedenkdiener ist Felix ein Teil dieser Ereignisse. Man arbeitet zusammen mit den festen Angestellten im Büro, begleitet Ausflüge und kann sogar Kurse belegen, die einen interessieren.

Ein Tag am HSC

Felix Tag beginnt um 09:30 Uhr, wenn er ins Büro kommt und erstmal E-Mails beantwortet und Büroarbeiten erledigt. Ab 11 Uhr wird es dann schon etwas hektischer. Die unterschiedlichen Veranstaltungen beginnen und manchmal laufen auch Konferenzen und das wöchentliche Programm „keep fit“ gleichzeitig ab. Dann muss man den großen Veranstaltungsraum mit seinen Trennwänden vorbereiten, die Gäste begrüßen und sie zur richtigen Veranstaltung lotsen.

Ab 12 Uhr gibt es dann „lunch“ und wegen anfänglicher Schüchternheit musste Felix sich ein bisschen überwinden, um nicht allein hinter dem Computer zu essen. „Eigeninitiative ist sehr wichtig. Zwar kostete es anfangs etwas Überwindung sich dazuzusetzen, aber man wird sofort aufgenommen.“ Es entwickeln sich dann beim Essen kleine Gespräche und man lernt einander besser kennen.

Am Nachmittag finden dann Kurse statt und neuerdings sitzt Felix mit im Jiddischkurs und versucht aus dem eigenen Wissensschatz des Wienerischen, Vokabeln herzuleiten. „Anfangs waren alle etwas verwirrt, wer der Junge ist, der gar kein Jiddisch kann und trotzdem da sitzt und mitmacht. Aber sie freuen sich immer sehr wenn ich dazustoße.“

Am Abend leeren sich die Räumlichkeiten dann wieder und es stehen ein paar Bürotätigkeiten, wie „Kassazählen“, am Plan. Und falls im Laufe des Tages Probleme aufgetaucht sind, so werden sie jetzt behoben. Spannend wir es, wenn Ausflüge stattfinden. Beim Ausflug ins britische Parlament haben etwa MPs und Survivors die Gelegenheit einander kennenzulernen und miteinander zu sprechen.

Auch bei der Eröffnung einer neuen Synagoge war Felix zu den Feierlichkeiten eingeladen. Dort wurde spontan entschieden auch ihm das Mikrofon zu reichen, damit auch er etwas sagen kann – Felix war sehr überrascht. Eine Ehre natürlich, aber viel mehr als eine schöne Geste, denn als Gedenkdiener ist man nicht nur Helfer sondern Teil der Community.

Jeder Kontakt ist anders

Zum Schluss muss ich Felix noch fragen:

Was ist besonders an der Arbeit im HSC? „Die unterschiedlichen Gruppen mit unterschiedlichen Geschichten.“ Der Kontakt mit jeder Person ist anders und man lernt so viel, wenn man die vielen Perspektiven kennenlernt. „Die Konversationen reichen von Tagespolitik bis Small Talk und sind absolut verschieden. Es hört sich an wie ein kleines Dorf, wo sich alle kennen, zusammen Zeit verbringen und auch mal beim Essen philosophieren. Man spricht von den Kindern und neuen Sachen und alles mögliche, was einen beschäftigt.“

„Was würdest du zukünftigen Gedenkdiener_innen mitgeben?“ „Genieß es hier zu sein. Sei nicht schüchtern wenn du die Leute und Kultur kennenlernen willst.”

Bericht von Aria Askari

Über den Autor: Aria Askari möchte 2020 seinen eigenen Gedenkdienst am HSC in London absolvieren. Derzeit absolviert er einen Erasmus Aufenthalt in London.