Von der Wichtigkeit, etwas zu tun, OÖN

18.08.2012

Projekt Beschreibung

OÖN, 18.08.2012 Von der Wichtigkeit, etwas zu tun Interview mit Gedenkdienst-Gründer Andreas Maislinger zum 20-jährigen Bestehen desAuslandsdienstes Von Rene J. Laglstorfer OÖNachrichten: Warum hat es in Deutschland anders als in Österreich schon ab 1970 Zivildiener an ausländischen Gedenkstätten gegeben? Andreas Maislinger: Deutschland war anders herausgefordert und hat keine Möglichkeit gehabt, sich herauszureden. Österreich war ja auch Opfer. Die deutsche Wehrmacht wurde nicht eingeladen, aber es gab viele Täter auf österreichischer Seite und die Begeisterung war groß. Durch diese Ambivalenz hatte Österreich mit der Opferrolle eine Wahl, die Deutschland nicht hatte. 1975 ist in Österreich der Zivildienst eingeführt worden. Schon zuvor habe ich als 19-Jähriger bei der Stellung verweigert und diffus nach einer Alternative gesucht, um mehr zu entdecken und mehr zu erleben. Durch meine polnische Freundin, die in der Nähe von Auschwitz aufgewachsen war, einen Aufenthalt in einem israelischen Kibbuz und einen Zeitungsartikel über das deutsche Zivildienstprogramm Aktion Sühnezeichen ist mir 1977/78 klar geworden, diesen Dienst möchte ich machen, und ich will, dass er als mein Zivildienst anerkannt wird. Der Projektname war damals noch nicht „Gedenkdienst“, den habe ich mir erst viel später überlegt, sondern hieß damals einfach „Zivildienst in Auschwitz“. Wie konnten Sie sich sicher sein, dass der Gedenkdienst mit all seinen Startschwierigkeiten ein Erfolgsprojekt wird? Das war nicht so schwer vorauszusehen, weil sich so viele Dinge mit dem Auslandsdienst verbinden: Es gibt ein Heimweh nach der Welt, junge Menschen wollen, wenn sie aufgeweckt sind, hinaus. Und wenn man als Trägerorganisation einen Zivildienst nicht im eigenen Land, sondern im Ausland anbietet, dann ist das zuerst einmal attraktiv. Ich habe zwar gemerkt, dass ich mit diesem Eintreten für den Auslandsdienst alleine war – über lange Zeit habe ich keine Unterstützung bekommen. Aber sobald es die Möglichkeit gibt, nicht nur über die Notwendigkeit der Aufarbeitung zu reden und nicht nur antifaschistische Slogans zu rufen und zu demonstrieren, sondern wirklich etwas zu tun, und zwar ein ganzes Jahr lang, dann werden das junge Männer nutzen. Da war ich mir sicher, und es hat sich auch bewahrheitet. Für welche der mehr als 100 Auslandsdienst-Einsatzstellen würde sich der noch wehrdienstpflichtige Andreas Maislinger heute entscheiden? Irgendwie sind es immer die letzten Projekte, die ich am spannendsten finde. Der Austro-Türke Cem Yurt hat ja als allererster Gedenkdiener seinen Auslandsdienst im Jüdischen Museum Thessaloniki in Griechenland angetreten. Oder Casablanca in Marokko, wohin Lukas Schaup diesen Sommer als Gedenkdienstpionier gewechselt ist. Im Moment würde ich mich wohl für die leider ehemals multikulturelle Stadt Thessaloniki entscheiden. Ein anderer Schwerpunkt, an dem mein Herz besonders hängt, sind unsere Roma-Projekte. Neben unserer Einsatzstelle in Budapest am European Roma Rights Centre kooperieren wir auch mit dem Europarat und wollen direkt mit den Roma in der Slowakei und in Ungarn arbeiten. Letztendlich können wir solche neuen Projekte nur betreiben, wenn sich junge Leute dafür engagieren. Welche sind in den vergangenen 20 Jahren seit der Gründung des Auslandsdienstes die Höhe- und Tiefpunkte gewesen? Die schönsten Momente sind für mich immer die Begegnungen mit den Überlebenden gewesen. Vor allem wenn mir junge Gedenkdiener berichten, wie bereichernd das war. Das war ja nicht so selbstverständlich, dass Holocaust-Überlebende auf junge Österreicher so offen zugehen. Das Schwierigste in den vergangenen 20 Jahren war, dass zwar die gesetzliche Grundlage für den Auslandsdienst geschaffen wurde, aber nicht im selben Atemzug finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Die Schere geht immer weiter auseinander. Die Republik Österreich hat sich bis heute noch nicht dazu aufraffen können, zu sagen: Der Auslandsdienst ist uns so wichtig, dass wir ihn institutionalisieren und finanzieren. Auf der anderen Seite finde ich es in Ordnung, dass der Auslandsdienst aufgrund der längeren Dienstdauer mit einem gewissen zeitlichen und auch finanziellen Opfer verbunden ist, denn das trennt die Spreu vom Weizen. Der Verein Österreichischer Auslandsdienst beschäftigt sich überwiegend nicht mit Lobbying, sondern damit, neue Projekte auszuarbeiten, Leute auszuwählen und vorzubereiten – das ist unser tägliches Geschäft. Wird es den Auslandsdienst in 20 Jahren noch geben? Ja, sicher. Zum einen, weil es voraussichtlich keine Wehrpflicht mehr geben wird. Zum anderen, weil es Arbeitsfelder und junge Menschen gibt, die Gedenk-, Sozial- und Friedensdienst im Ausland machen wollen. Ich gehe sogar davon aus, sofern der Auslandsdienst entsprechend geregelt wird, dass noch die Frauen dazukommen werden. Sie werden derzeit wegen der Zivildienstpflicht nicht berücksichtigt, aber wenn es einen richtigen Freiwilligendienst gibt, dann werden sich mindestens so viele Mädchen wie Burschen melden – eher sogar mehr, wie das deutsche Beispiel beweist. Haben Sie Ihr Lebensziel verwirklicht? Nein, weil ich mein Lebensziel erst erreicht habe, wenn ich abtrete. Das Entscheidende ist, dass du so lebst, dass du dich jeden Moment verabschieden könntest – und daran denke ich auch jeden Tag. Ist das Ihre Lebensphilosophie? Ich habe lange Zeit die Lebensphilosophie meines Vaters verfolgt: „Tue Recht und scheue niemand.“ Unbewusst habe ich von ihm übernommen, das zu tun, was man für richtig empfindet, seinem Gewissen zu folgen und vor niemandem Angst zu haben. Aber es ist schon etwas anderes dazugekommen, das ich früher nicht so gesehen habe: Mir ist der Moment viel wichtiger geworden. Wenn ich mit meinen beiden Hunden spazieren gehe, dann sind die schönsten Momente am Tag, wenn ich mit einem Menschen rede, den ich erst gerade kennenlerne. Also im Moment zu leben und nicht zu denken, was gestern nicht passiert ist und was ich noch nicht erledigt habe. Wir versäumen so oft, jetzt zu leben, weil wir immer etwas anderes im Kopf haben. Und damit entgehen uns die schönsten Dinge. Was wünschen Sie Ihrem Kind, dem Auslandsdienst, zum 20. Geburtstag? Dass die Politiker nicht nur Lippenbekenntnisse abgeben, sondern dass sie konkret etwas für die jungen Leute tun und zu ihrem Wort stehen. Und ich wünsche mir für den Auslandsdienst ein bisschen mehr Geld. Die schönsten Momente sind für mich immer die Begegnungen mit den Überlebenden gewesen.“ Andreas Maislinger, Gedenkdienst-Gründer Geschichte 1980/81 arbeitete der 25-jährige Andreas Maislinger aus St. Georgen bei Salzburg freiwillig bei der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste im Museum Auschwitz-Birkenau mit. Während diese Arbeit seinen deutschen Kollegen als Zivildienst angerechnet wurde, blitzte er mit der Forderung nach einem „Zivildienst in Auschwitz“ für österreichische Wehrpflichtige ab. Mehr als ein Jahrzehnt kämpfte Maislinger beharrlich für seine Idee, bis 1991 vom österreichischen Nationalrat die gesetzlichen Grundlagen für einen Zivilersatzdienst im Ausland geschaffen wurden. Am 1. September 1992 trat mit dem Tiroler Georg Mayer der erste österreichische Auslandsdiener einen Gedenkdienst in Auschwitz anstelle von Bundesheer oder Zivildienst an.

Projekt Details

  • Datum 7. Januar 2016
  • Tags Pressearchiv 2012

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