„Einmal Hölle und zurück, bitte“, Salzburger Nachrichten

31.05.1997

Projekt Beschreibung

„Einmal Hölle und zurück, bitte“ Gedenkdiener Richard Bachinger (19) beobachtet in Auschwitz Holocaust-Touristen und bedauert dabei, dass ihnen vor allem eines fehlt – Zeit. Und er fragt: Sind wir überhaupt bereit oder noch fähig, diese wirklich schreckliche Stille, die dieser Ort haben kann, in uns wirken zu lassen? Wie jeden Tag, gehe ich wieder einmal vom Block 23, in dem ich arbeite, zur Post, die im sogenannten „Aufnahmegebäude“ außerhalb des Stacheldrahts liegt. Wie jeden Tag, muss ich dabei durch eines der bekanntesten Tore der Welt. Durch jenes Lagertor, das mit seiner zynischen Inschrift „Arbeit macht frei“ für viele Menschen zum Symbol für die Unmenschlichkeit und Menschenverachtung im „III. Reich“ geworden ist. Durch jenes Lagertor, das viereinhalb Jahre lang für die dort inhaftierten Menschen dem Eingang zur, von Menschen für Menschen errichteten, Hölle gleichkam, dem größten und, nach den Aussagen der Überlebenden, schrecklichsten aller deutschen Konzentrationslager. Wie jeden Tag, treffe ich dort auf eine Gruppe, die gerade ihren Rundgang durch dieses, von vielen als „Schreckenskabinett“ erwartete, Museum antritt. Wie jeden Tag, stellen sich einige Touristen lächelnd unter dieser „Sehenswürdigkeit“ zu einem Gruppenbild zusammen, um dieses später in ihre „Und das bin ich vor . . .“-Fotosammlung zu Hause einzuordnen. Wie jeden Tag, muss ich auch wieder einmal jemanden möglichst höflich auffordern, doch auf diesem Gelände, das für viele den Friedhof ihrer nächsten Verwandten darstellt, nicht zu rauchen. In den meisten Fällen treffe ich auf großes Verständnis und Entschuldigungen, aber leider kommt auch ein lockeres Schulterzucken immer wieder vor. Und wie jeden Tag auf diesem kleinen Rundgang ärgere ich mich über diesen Holocaust-Tourismus und dieses Shoah-Business in all diesen kleinen Läden, die sich rund um die Gedenkstätte angesiedelt haben, in denen man alles, was man so für das „Gedenken“ braucht, kaufen kann. Eigentlich könnte man diese kleinen Geschäftsleute, aber auch all die anderen 500.000 Menschen, die Jahr für Jahr die Gedenkstätte besuchen, nur all zu gut verstehen. Bei Sonnenschein wirken diese 30 Häuser, mit ihren roten Ziegelsteinfassaden und den Bäumen dazwischen, nicht gerade wie „der After der Welt“, wie der SS-Arzt Johann Paul Kremer Auschwitz in seinen Tagebuchaufzeichnungen bezeichnete. Eher wie ein Heimat- bzw. Freilichtmuseum. Man scheut sich fast, es zu sagen, aber es stimmt, es ist geradezu schön, ja schön. Die erste „logische“ Schlussfolgerung wäre damit: Auschwitz ist nur bei schlechtem Wetter, am besten im Winter bei Minus 15C, mindestens einem halben Meter Schnee und mit diesem eiskalten Wind, der durch den dicksten Wintermantel zu dringen vermag, hässlich genug, um sich all den Schmerz, die Folter und das Leid so „richtig“ vorstellen zu können. So in Richtung Geisterbahn- oder Horrorfilm-Erlebnis vielleicht, wo man nachher wieder herauskommt, aufatmet und sich denkt, gut dass das schon lange vorbei ist. Gerade diese Schlussfolgerung führt in ihrer Naivität zum Hauptproblem der ganzen Sache. In Wirklichkeit lechzen wir ja nach dieser Authentizität des Vergangenen, geradezu nach Unterhaltung bzw. „Entertainment“, nach „einmal Hölle und zurück, bitte“. Sind wir überhaupt bereit oder überhaupt noch fähig, diese wirklich schreckliche Stille, die dieser Ort haben kann, besonders das Vernichtungslager Birkenau, in uns aufzunehmen und wirken zu lassen? Eines der größten Probleme, das genau gegen dieses Vorhaben arbeitet, ist der unheimliche Mangel an Zeit, den fast alle Besucher nach Auschwitz mitbringen. Besonders hervorgehoben hat sich zum Beispiel eine Gruppe aus Skandinavien, die morgens mit dem Flieger in Katowice ankam, ins Stammlager gefahren ist, dort eine kurze Besichtigung gemacht hat und am Nachmittag wieder mit dem Flieger zurückgeflogen ist. Man hat ja gar keine Zeit, sich wirklich mit dem Thema zu konfrontieren, zu belasten, sich mit dem Schmerz auseinander zu setzen, in letzter Konsequenz zu leiden. Schließlich will man ja nicht zu jenen „Vergangenheitsbesessenen“ gehören, die Vergangenheit nicht Vergangenheit sein lassen wollen und ständig von einer möglichen Wiederholung des Ganzen reden, in einer ähnlichen, aber doch nicht auf den ersten Blick erkennbaren Form. Um solche Zusammenhänge aber erkennen zu können, bedarf es viel Zeit, die es aber leider nicht im Kiosk zu kaufen gibt. Als Ersatz für diesen Mangel müssen dann die zig-tausenden Filme herhalten, die hier schon verknipst wurden. Ein Fotograf, der hier auf dem Gelände eine ganze Woche vergangenen Oktober arbeitete und diesen (bereits dritten) längeren Aufenthalt auch für persönliche Soziologiestudien nutzte, hat für dieses Verhalten den Begriff „Knipsund-weg-Fotos“ kreiert. Das Eingangstor wird nur kurz durch den Sucher der Kamera angepeilt, dringt also im besten Fall als reines, abzulichtendes Objekt ins Kurzzeitgedächtnis – knips und weg. Die Berge aus menschlichem Haar – knips und weg. Die Gaskammer und das Krematorium – knips und weg. Und weiter zum nächsten. Der Vorteil: Dadurch hat man für sich persönlich, im Notfall auch für alle anderen kritischen Stimmen, gleich eine wunderbare und beruhigende Ausrede parat. Man hat ja eh alles auf Foto und wird so noch einmal Zeit finden, sich alles in Ruhe anzusehen. Was einem entgegengesetzten Vogelstrauß-Verhalten entspricht: Man ist im Glauben, mit dem visuellen Reiz auch den emotionalen für die Nachwelt auf Negativ gebannt zu haben. Als ich wie eben jeden Tag von der Post ins ehemalige Lager zurückgehe, steht bereits die nächste Gruppe vor dem Tor. Während die Führerin die Entstehungsgeschichte erzählt und in den hinteren Reihen mehr geblödelt als zugehört wird, treten einige aus der Gruppe und – knips und weg. Richard Bachinger (19) leistet seit Anfang Juli 1996 seinen „Gedenkdienst“ im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau.

Projekt Details

  • Datum 28. August 2016
  • Tags Pressearchiv 1997

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