Die Casa Hogar ist mein Leben, Uhudla edition, März 2003

01.03.2003

Projekt Beschreibung

Uhudla edition März 2003 Die Casa Hogar ist mein Leben Ewald Natter, Auslandsdiener in Guatemala – Gedenk-, Sozial- und Friedensdienst sind die drei Gruppen des Vereins für Dienste im Ausland. Ewald, ein Diensthabender, hat seine Erlebnisse in Guatemala in Form eines Tagebuchs ins World Wide Web gestellt. Globale Medienberichterstattung und internationale Politik ist zur Zeit durch Militarismus und Kriegshysterie geprägt. Soldaten in voller Montur mit todbringender und alles zerstörender Gerätschaft zu Wasser, auf dem Lande und in der Luft geistern durch den Blätterwald, flimmern über Bildschirme. Nichteinmal für „Blauhelme“ ist Platz. Aber es gibt sie noch, die engagierten Menschen, die im Auftrag des Friedens und der Gerechtigkeit das Ansehen Österreichs in der Welt aufmöbeln. Der 22jährige Vorarlberger Ewald Natter hat den UHUDLA quasi in sein „Guatemaltekisches Tagebuch“ blicken lassen. „Ich ward versucht, ein paar gehobelte Worte über mich selbst hier abzustellen. Nach reiflichem Überlegen und einigen paar Momenten der Selbstreflexion bin ich zu dem Schluss gelangt: Mich kann man nicht beschreiben – mich muss man erleben!“ beginnt er seine Internetz-Selbstdarstellung. Wie kommt ein einfacher Zivi nach Guatemala So werde ich nur kurz darlegen, wie man als einfacher Zivi in ein so weit entferntes Länd wie Guatemala gelangen kann. Der Auslandsdienst ist ein vom Innenministerium anerkannter Ersatzdienst für den herkömmlichen Zivil- bzw. Präsenzdienst. Es gibt zahlreiche Trägerorganisationen in Österreich, die innerhalb dieses Rahmens junge Leute ins Ausland entsenden. Die größte davon ist der Verein für Dienste im Ausland. Ich war mehr als ein Jahr lang Aktivist im Verein, ehe ich vom 1. August 2001 bis zum 30. September 2002 als Zivildiener in Guatemala im Einsatz war. Die staatliche Verpflichtung dauert nicht wie beim Zivildienst üblich zwölf Monate sondern 14 Monate. Geld sollte keines erwartet werden, denn das Innenministerium will von Kanzler Schüssels Spargnaden einen „guten Job“ machen, indem es den Auslandsdienst finanziell auszuhungern versucht. Die Auslandsprojekte sind meistens nicht in der Lage, ihre österreichischen Mitarbeiter finanziell zu entschädigen. Ein erfolgreicher Antritt setzt also ein gerüttelt Maß an Eigenleistung voraus. Trotz der misslichen finanziellen Aussichten gibt es zuhauf Interessenten für die verschiedensten Auslandsprojekte in den verschiedensten Ländern und Kontinenten. Das Auswahlsieb ist höchst feinmaschig und nicht viele können sich durch die beengten Möglichkeiten zum Ziel hin durchzwängen. Eigeninitiative, professionelles Auftreten und persönliche Reife sind unerlässlich. Erst danach zählen Qualifikationen wie theoretische Vorkenntnisse, sprachliche Begabung oder gute Zeugnisse. Die Mitarbeit im Verein für Dienste im Ausland ist eine echte Möglichkeit, gute Kontakte zu knüpfen und seinen Horizont zu erweitern. Ich habe dadurch einige sehr gescheite Leute kennengelernt. Die Entscheidung zu diesem abnormen Schritt war richtig und ich kann nur jeden dabei ermutigen, der versucht, denselben zu tun. Wie und wo ich arbeiten tu September 11, 2001 Zeitzähler: 52 Tage 6 Stunden 45 Minuten Langsam muss ich auch was über meine Arbeit schreiben, ansonsten könnte mein Aufenthalt als zentralamerikanischer Abenteuerurlaub fehlinterpretiert werden… 😉 Ich bin hier als Sozialdiener bei einem österreichischen Projekt angestellt, der Casa Hogar, einem Schülerheim für begabte Kinder minderbemittelter Familien indianischer Abstammung aus dem Hochland von Guatemala. Viele der Indio-Kinmder haben in Lehmhütten jenseits von Nirgendwo gewohnt, sprachen eine von 22 Mayasprachen und nach der Volksschule war für sie der intellektuelle Teil ihrer Karriere vorbei. Die Casa Hogar gibt besonders talentierten, lernwilligen und neugierigen Kindern die Möglichkeit, eine Schulbildung ähnlich der Matura in der Hauptstadt zu erhalten – natürlich nur mit dem Einverständnis der Eltern und selbstverständlich umsonst. Zur Zeit betreuen wir 19 Kinder zwischen 12 und 18 Jahren. Ein- oder vielleicht zwei Mal im Jahr haben sie die Möglichkeit während der Ferien nach Hause zurückzukehren. So schließt die Betreuungsfunktion der Kids also die Eltern-, Geschwister- und Lehrerrolle ein und macht den Dienst zu einer anspruchsvollen sowie anstrengenden Aufgabe. Ziel des Projekts ist es, die Kinder durch eine fundierte Ausbildung in öffentliche Positionen zu bringen (als Journalisten, bei Radiosendern, in guatemaltekischen Unternehmen), damit sie ihre Stimme für die Rechte der Urbevölkerung einsetzen können. Nachmittags gehen die Kinder in die Schule, Vormittags und Abends versuchen wir, sie weiterzubilden und ihnen beim Lernen behilflich zu sein. Und so manches Mal schüttelt unsereiner müde den Kopf, wenn er wieder einmal klaren Einblick in die Unterrichtsmethoden hierorts erlangt. Auf selbständiges Denken wird wenig bis gar kein Wert gelegt. Die meiste Zeit des Lernens sind die Kinder beschäftigt, irgendwelche Dinge für die Schule auswendig zu lernen. Wer die schönsten Zeichnungen unter seine Hausübungen setzt, bekommt die meisten Punkte. Wirtschaftliches und logisches Denken scheint den Guatemalteken unbekannt. Die Kinder der Casa Hogar sind sehr intelligent und begreifen schnell. Jemand muss ihnen erklären, warum die Vereinigten Staaten von Amerika mehr Mais verkaufen können als Guatemala – die Wirtschaftsdaten von den nordamerikanischen Bundesstaaten aus einem Buch von vorvorgestern zu büffeln scheint nicht nur absurd und unverständlich, es ist es auch. Schließlich sollte den Jugendlichen erklärt werden, wie es dazu kommen konnte, dass über 90 Prozent von Macht und Reichtum des Landes in den Händen der Ladinos (Nachfahren der spanischen Eroberer) liegt, während sie, die Urvölker, die Indígenas, stolze 70 Prozent der Bevölkerung ausmachen und dass dies der höchste Wert von ganz Mittelamerika ist. Doch selbst wenn die Kids zum Lernen ausgeflogen sind, lässt sich in der Casa keine ruhige Nachmittagskugel nicht schieben. Schließlich muss das Gebäude in Schuss gehalten werden, Dinge gehen kaputt und müssen repariert oder durch Improvisationen ersetzt werden – und schließlich kostet das alles Geld, das heißt Unterstützer und Spender wollen gefunden werden. (In Guatemala verstecken die sich allerdings vorerst noch ziemlich gut.) Außerdem gibt es da noch Elternsprechtage, Freizeitaktivitäten mit den Kids sowie Putzpläne, Teambesprechungen und Wochenenddienste. Und da sich die Projektleitung auf guatemaltekischer Seite, die Junta Directiva, wenn überhaupt dann nur durch Untätigkeit hervortut, sind drei Sozialdiener verantwortlich für 19 Kinder, ein Haus, ein Grundstück und bis zu einem gewissen Grad auch für den Schulerfolg ihrer Schützlinge. Zum Glück gibt es die Momente, in denen man das, was man leistet in großen Portionen zurückbekommt. Wenn die Kids gute Noten mit heimbringen, ist es, als wenn man die Examen selber geschrieben hätte. Wenn ein strahlendes Kindergesicht als Folge eines Aha-Erlebnisses (nachdem man die Schlussrechnung statt mit Äpfel und Birnen, mit Limonen und Bananen erklärt hat) der Arbeit Lohn ist, so kommt man sich wie ein Großverdiener vor. Schließlich ist ein helles Kinderlachen, nachdem man den Witz auf spanisch erzählt hat, mehr Bestätigung als jedes Dankesschreiben. Man kommt her, man lebt mit ihnen, man isst mit ihnen, man schläft bei ihnen – und es dauert nicht lange und man begreift: Die Casa Hogar ist nicht dein Job. Sie ist dein Leben. Oh du mein Österreich Oktober 26, 2001 Zeitzähler: 97 Tage 6 Stunden 45 Minuten 26. Oktober, Nationalfeiertag. Österreicher in Guatemala feiern diesen Tag wie Österreicher in Österreich. Sie essen gut und trinken gut. Nur hier tun sie das in der Botschafterresidenz. Auch einfache Zivildiener sind eingeladen um gutes Essen abzustauben und ein bisschen Mundvorrat anzulegen. Wir biegen ins Nobelviertel des Nobelviertels Zone 15 ein. Wenn heute nicht der 26. wäre und wir keine Ösis nicht wären, würden wir wahrscheinlich nicht durch die zwei Schranken und die Wachbrigade kommen. Die Häuserklasse hier übertrifft alles bisher Betretene. Wer hier wohnen darf, der hat es wahrscheinlich geschafft in Guatemala – fragt sich nur wie… Das Haus des österreichischen Botschafters sieht aus wie ein Haus, das 5 000 Dollar Miete im Monat verlangt. Vom ausgestopften Hirschkopf über den Schildkrötenpanzer bis zum Pianoflügel ist alles vorhanden, was ein Botschafter so braucht. Das Mercedes Coupé in der Tiefgarage trägt ein Diplomatennummernschild und die Waffenkammer im ersten Stock verrät, dass früher eine Jägerfamilie hier residiert hat. Zu den geladenen Ösis gesellt sich noch eine Reihe von Guate-Promis dazu. Der guatemaltekische Außenminister ist genauso präsent wie ein hoher Sekretär aus dem Vatikan. Das Essen ist wirklich gut, die Gespr dazu. Der guatemaltekische Außenminister ist genauso präsent wie ein hoher Sekretär aus dem Vatikan. Das Essen ist wirklich gut, die Gespräche sind unfehlbar langweilig. Man muss aufpassen, dass man nicht mit zuvielen falschen Leuten redet. Nachdem es aber den Wein umsonst gibt, tut man das wahrscheinlich doch. So erfahre ich, wer von den Anwesenden sich hat scheiden lassen, wer schon beim Drogenkonsum erwischt worden ist und wer von den österreichischen Lehrern sich das Katzen- und Hundestreu aus Österreich in einem Schiffscontainer schicken läßt. Jetzt weiß ich, wieviel der Botschafter verdient, wieviele Privathubschrauber es in Guatemala gibt und, dass es sonst nirgendwo soviele geben soll. Amüsant, das Ganze, doch wer selbst keinen Goldesel im Stall stehen hat, den langweilt das geldgeschwängerte Geplapper nur. Es lässt sich nicht überhören, dass diese Leute Angst haben. In einem Land wie Guatemala steigt diese Angst proportional zum PPPF (Prunk, Protz- und Prahlfaktor). „Sag mir, wieviel Angst du hast und ich verrate dir deinen Kontostand“, könnte ich einige Male entgegnen. Um einem in der Natur der Sache liegenden und an Botschaftsresidenzen anhaftenden Höflichkeitsfaktor gerecht zu werden, gesellt sich der österreichische Repräsentant für einen kurzen Schwatz zur mittellosen jedoch angstfreien Sozialarbeiterdelegation. Auf eine Grundsatzdiskussion zur Armutslage der Nation in Zusammenhang zum Hilfepotential der österreichischen Nation lässt er sich nicht ein. Wenigstens teilt er uns seine Verteilungstheorie mit: „Auf unserer Erde gibt es genug für alle. Doch wo ist der Mann, der das alles gerecht verteilt…?“, fragt sich der Botschafter. Eindrücke ausdrücken April 21, 2002 Zeitzähler: 274 Tage 6 Stunden 45 Minuten In Guatemala länger unterwegs zu sein, ist für den Reisenden gleichzeitig mit der Suche nach Übernachtungsmöglichkeiten gekoppelt. Spätestens jetzt mußte alle europäische Zimperlichkeit über Bord geworfen werden, denn die Bezeichnung „Hotel“ hätte in den allermeisten Fällen trefflicherweise durch „heruntergekommene Herberge“ ersetzt werden müssen. Waren wir müde genug, so störten uns vier-, sechs- oder achtbeinige Mi(e)tbewohner, eiskaltes Wasser aus der Dusche, erbärmlich stinkende Abflußsysteme, defekte WC-Spülungen, zeitweise Stromausfälle etc. weit weniger bis gar nicht mehr. Denn selbst wenn man mit geschlossenen Augen durch Guatemala ginge, bliebe einem die bittere Armut, die sich in den unteren Schichten der Bevölkerung unaufhaltsam breitmacht, nicht verborgen. Primitivste Bretter- und Blechverschläge, meist schuhkartonähnlich angelegt, dienen als Behausung für Großfamilien. Blickt man dann in die kugelrunden, kohlschwarzen Kulleraugen im Dreck und zwischen ausgemergelten Hunden spielender Kinder, drängt sich neben Betroffenheit gleichzeitig die Frage auf, ob dies auch wirklich zu der „unseren Welt“ gehört? An dieser Stelle muß korrigiert werden, daß wir mit unserem Wohlstand eigentlich eher die Ausnahme sind – nicht das eben Gesehene. Leider ist dies oftmals viel zu wenig in unserem Bewußtsein auffindbar und wird ferner auch entsprechend wenig geschätzt. Eine wirklich bereichernde Erfahrung! Ewald Natter

Projekt Details

  • Datum 14. Juni 2016
  • Tags Pressearchiv 2003

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