Projekt Beschreibung
Deutsche Welle TV 17. März 1996 | GOETHE INSTITUT – Die Deutschstunde |
Sendung ’39‘ Braunau: Ansichten der Stadt am Inn Transkript Wir verlassen Deutschland über den Grenzfluß Inn bei Simbach. Das Ziel unserer Reise liegt nur knapp 300 Meter hinter dem Schlagbaum. Ein kleiner, piefig anmutender Ort. 17 Tausend Einwohner, drei Kirchen, eine Ladenstraße für die Sommertouristen, ein Kino, keine Disko, kein Musikcafe. Keine spektakuläre Kunst- oder Musikszene. Eigentlich ein Flecken, den man gut und gerne vergessen könnte. Wäre da nicht dieses Haus, das diesen Ort auf der ganzen Welt bekannt werden ließ: Das Geburtshaus Adolf Hitlers. Robert Altbauer ist 19 Jahre alt und in Braunau geboren. Wie alle Braunauer wird auch er immer wieder mit der nationalsozialistischen Geschichte des Ortes konfrontiert: O-Ton Robert: „Es ist seltsam, weil Hitler nur zwei Jahre hier gelebt hat und sonst eigentlich keinen Bezug hat zu Braunau. Aber man wird doch immer als Braunauer mit Hitler in Bezug gebracht. Und vor allem im Sommer, wenn Touristen kommen, wird man immer wieder gefragt, wo geht es hier zum Hitlerhaus. Es ist doch komisch, aber, ich finde, mit diesem Stigma sollte man doch umgehen und man sollte es öffentlich bewältigen.“ Robert hat mit seinen Freunden die Geschichte seiner Stadt für die Schule erforscht. Auch eine Reaktion, dem Stigma zu entkommen. O-Ton Robert: „Ja, Das war also wichtig für mich festzustellen, daß die Geschichte Braunaus nicht erst mit der Geburt Hitlers begonnen hat, sondern wesentlich älter ist. Die ersten Eintragungen gibt es bereits im 12. Jahrhundert, und Braunau hat eine wichtige strategische Position gehabt und war ein wichtiger Handelsplatz am Inn. Also, die Bedeutung ist wesentlich größer als nur der Geburtsplatz des größten Diktators der Welt.“ Eine offene rechte Szene gibt es in Braunau nicht. Das Hitlerhaus oder die nationalsozialistische Vergangenheit Österreichs spielen in Roberts Leben eine eher untergeordnete Rolle. Zur letzten Wahl war der Handelsschüler zwar noch nicht wahlberechtigt, er fühlt sich, trotz des Braunauer Mahnmals, als politisch konservativ. O-Ton Robert: „Also, ganz klar grenze ich mich von den Nazis und Skinhead ab. Aber bei der letzten Wahl hätte ich die Freiheitlichen gewählt, ich bin eher konservativ national. Weil ich glaube, die bisherige Regierung, daß die mit den Problemen nicht richtig fertig wird.“ Robert teilt diese politische Meinung mit gut 22 Prozent der Österreicher und etwa 28 prozent der Braunauer Bürger. Nach der Schule im Sommer will Robert seiner Staatsbürgerpflicht nachkommen und zum Bundesheer gehen. Hans-Jörg Hummer ist auch im Bezirk Braunau geboren. Anders als Robert beschäftigt sich Hans-Jörg seit 4 bis 5 Jahren immer intensiver mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs. O-Ton Hans-Jörg: „Daß ich persönlich mich mit Nationalsozialismus beschäftige, hat nur am Rande damit zu tun oder auslösend, daß hier in meinem Bezirk Adolf Hitler geboren ist. Das hat viel mehr auch damit zu tun, wie Österreich, wie die Politik auf offizieller Seite und wie dann auch automatisch jeder Einzelne damit umgegangen ist: die Vergangenheit verdrängend, also bei Seite schiebend.“ Hans-Jörg will nichts zur Seite schieben. Der 22-jährige Student fühlt sich in der Verantwortung. Einen „Dienst mit der Waffe“ wie Robert zu leisten, lehnt er aus Gewissensgründen ab. Er hofft, im Sommer beim sogenannten „Gedenkdienst“ seinen Zivildienst leisten zu können: O-Ton Hans-Jörg: „Gedenkdienst ist ein Verein, der seit vier Jahren in Österreich tätig ist und sich an Jugendliche, hauptsächlich männliche Jugendliche richtet. Er bietet diesen Jugendlichen die Möglichkeit, die Stelle des Zivildienstes an ausländischen Stätten des Holocaust, also Gedenkstätten, Museen, einen 14-monatigen Dienst zu leisten.“ Im Braunauer Hitlerhaus wird der Verein „Gedenkdienst“ dieses Jahr eind Zivildienststelle einrichten. Hans-Jörg hat sich genau um diese Stelle beworben. |
Projekt Details
- Datum 28. September 2016
- Tags Pressearchiv 1996