Projekt Beschreibung
Zivildienst als Gedenkdienst: Ein Österreicher in Tel Aviv
Botschafter der Menschlichkeit
In einem Elternheim in Israel leistet ein 19jähriger Oberösterreicher seinen Zivildienst. Als Zuhörer und Schachpartner, aber auch als junger Botschafter jenes Landes, das den alten Menschen früher einmal Heimat war. Von Tessa Szyszkowitz, Tel Aviv Es ist schon etwas länger her, da tat die Hausmeisterin – der Widerhofergasse 6 im neunten Wiener Gemeindebezirk den Ausruf: Jessas, des Annerl!“ 1967 kam Anny Robert zum ersten Mal nach dem Krieg in ihre Heimatstadt zurück. Noch länger ist es her, daß die Schneiderin mit dunklen Vorahnungen nach Palästina auswanderte. 1934 sagte das Annerl ihrer Hausmeisterin „Auf Wiedersehen“. Ihr Mann, ein Geiger, hat im Wüstenland umsatteln müssen. Er wurde Generalvertreter für die Kondom-Firma Olla. Anekdoten sprudeln nur so aus der 88jährigen heraus. Und nicht nur das. „Es schreibt mit mir, sagt die kleine, agile Frau mit dem mädchenhaften Lächeln. Mit 56 begann sie, Gedichte zu schreiben. Ihr Werk „Das Gebet“ endet mit den Zeilen: Laß mich aber bitte sitzen, Laß vom Sekretär notieren, Laß mich eines nicht: Emigrieren! Gott hat sie nicht hören wollen, die Israelin wider Willen. Sonst wäre Anny Robert nicht in Tel Aviv gelandet. „Bei meinem ersten Wien-Besuch bin ich ununterbrochen durch den Wienerwald gelaufen. Ich war glücklich.“ Inzwischen ist das zehrende Heimweh vergangen. Nur die Erinnerungen sind geblieben. Und die teilt die agile Schreiberin mit 100 Mitbewohnern im Altersheim von Ramat Chen. Benannt wurde dieses erste und einzige österreichische Elternheim außerhalb Österreichs nach Anita Müller-Cohen, einer Sozialarbeiterin aus Wien. Finanziert wird es nicht von der Regierung in Wien, sondern von der Organisation mitteleuropäischer Einwanderer und den Bewohnern selbst. „Von der österreichischen Botschaft bekommen wir aber viel kulturelle Unterstützung“, sagt Direktorin Edna Nardi höflich. Zwei Drittel der Heimbewohner sind Ex-Österreicher. Die meisten haben ihre erste Heimat vor 1938 verlassen und haben gute Erinnerungen. Dazu kommt, daß sie auch das heutige Österreich kennengelernt haben. In Person von Paulus Adelsgruber, einem 19jährigen Oberöstereicher, der im EIternheim seinen Gedenkdienst leistet. Seit 1992 drücken Zivildiener an Holocaust-Forschungs- und Gedenkstätten durch ihr Engagement die Mitverantwortung Österreichs an der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges aus.„Es war mir wichtig, ein Zeichen zu setzen. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist für mich eine wichtige persönliche Erfahrung. “ Paulus Adelsgruber
Paulus läuft jeden Tag von sieben bis drei Uhr durch das zweistöckige Gebäude und sozialarbeitet. Er begleitet Frau Rosenrauch in den Garten, holt Zigaretten für Raucherinnen, die nicht mehr aus dem Haus gehen können, spielt Schach mit einem Herrn, der stets vergißt, daß er schon mittaggegessen hat. Und vor allem hat Paulus immer ein offenes Ohr für die Menschen, die stundenlang mit viel Humor und Schrulligkeit auf den jungen Helfer einreden. „Es war mir wichtig, ein Zeichen zu setzen“, meint der Peuerbacher etwas gesiebt – Bevor er im April 1996 nach Tel Aviv kam, war er einen Monat in Auschwitz, wo er Berichte von Überlebenden überarbeitete. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist für ihn nicht nur politisches Programm, sondern „eine wichtige persönliche Erfahrung“. Überrascht hat ihn, daß er unter jungen Israelis keinen Anschluß finden konnte. Österreich heute scheint in Israel nur noch die zu interessieren, die mit Schnitzler aufgewachsen sind. Und mit Eichmann. So wie Irene Aloni. Eichmann lernte sie am Tag der Kristallnacht kennen. Hitlers Judenreferent retette ihr das Leben. Als Angestellte eines Amtes, das bei der von den Nazis damals noch betriebenen Juden-Emigration half, erhielt sie einen Brief, der sie vor der Massenverhaftung am 9, November 1938 schützte. Im August 1939 kam sie mit der Jerusalme, einem der letzten Schiffe, nach Palästina. „Ich habe eine zionistische Erziehung genossen“, erzählt die elegante Ex-Wienerin, „daher fiel mir die Auswanderung nicht so schwer.“ Der Abschied wurde auch dadurch erleichtert, daß zu Hitlers Einzug an ihrer geliebten Oper ein Transparent angebracht wurde: „Judentum ist Verbrechertum“. Vor vier Jahren besuchte sie Wien. „Jedes Mal, wenn ich an der Oper vorbeiging, gab es mir einen Stich“, sagt die 91jährige mit einem fast entschuldigenden Lächeln. „Wissen Sie, vergessen kann ich nicht.“
Projekt Details
- Datum 28. August 2016
- Tags Pressearchiv 1997