Projekt Beschreibung
Philosoph Burger erteilt Gedenkdienst Abfuhr
Wien (APA) – Eine kontroverse Diskussion war geplant, sie kam nicht zu Stande: Der Verein Gedenkdienst musste Mittwochabend im Wiener Jüdischen Museum ohne den Philosophen Rudolf Burger über die Frage des Gedenkens an den Holocaust diskutieren. Burger schrieb Martin Horváth vom Verein Gedenkdienst stattdessen einen Brief, in dem er seine Absage begründete: „Erlauben Sie mir den Hinweis, dass (der deutsche Philosoph, Anm.) Martin Heidegger in seiner unsäglichen Rektoratsrede (in Freiburg, Anm.) von 1933 eine Eloge auf den Arbeitsdienst, den Wehrdienst und Wissensdienst gehalten hat. Dem gewandelten Seinsgeschick gehorchend fände er heute sicher auch lobende Worte für den Gedenkdienst. Meine Sache ist das nicht.“
Abschließend wünscht der Philosoph „viel Erfolg bei der Bewältigung Ihrer Vergangenheit.“ Horvath las den Brief zu Beginn der Veranstaltung vor. Burger hatte im Vorjahr in einem Aufsatz für „das Vergessen“ plädoyiert. Der frühere Rektor der Universität für angewandte Kunst hatte damit eine heftige Kontroverse ausgelöst.
Auf dem Podium saßen somit ehemalige Gedenkdiener und eine Gedenkdienerin, die über ihre Erfahrungen in Holocaust- Gedenkstätten in Europa, Israel und Nordamerika reflektierten – und diese in Bezug zur österreichischen Gesellschaft stellten. „In Österreich ist das Gedenken privatisiert“, meinte der ehemalige Gedenkdiener Florian Huber. Ihm stellt sich die Frage der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus aber anders – schon auf Grund seines Alters.
„Die Frage der Mitverantwortung richtet man nicht mehr an die Eltern, auch nicht an die Großeltern, sondern an anonyme Vorfahren.“ Persönlich sei er daher – in der vierten Generation nach dem Zweiten Weltkrieg – eigentlich nicht involviert. „Die Vergangenheit ist aber die Vergangenheit der Gesellschaft, in der ich lebe“. Für ihn sei der Gedenkdienst eine Möglichkeit gewesen, sich intensiv – auch emotional – mit dieser Vergangenheit zu beschäftigen.
Von Überlebenden des Holocaust wird der Einsatz der österreichischen Gedenkdiener „durchwegs positiv“ aufgenommen, erzählt Martin Horváth von seinem Gedenkdienst in New York. „Euch als jüngeren Österreichern können wir vertrauen, bei den älteren wissen wir nie, was die damals gemacht haben“, sei der Tenor der jüdischen Überlenden gewesen. Für das offizielle Österreich seien die Gedenkdiener ein „sehr billiges P.R.,“ gab Stefan Roth zu denken, der nunmehr am Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes arbeitet. Die Finanzierung des Gedenkdienstes sei jedenfalls immer prekär gewesen, so die Gedenkdiener. An einem wirklichen öffentlichen Interesse am Gedenkdienst, der als Ersatz-Zivildienst anrechenbar ist, wurde aber unisono gezweifelt.
Künftig will sich der Verein Gedenkdienst, der heuer sein 10-jähriges Jubiläum feiert, stärker in Österreich engagieren. Der Verein möchte vor allem mit Schulen zusammen arbeiten, um dort den Holocaust zu thematisieren. Außerdem gebe es durch diesen „Generationenbruch“ einen gesellschaftlichen Kampf um die Interpretation der Geschichte. „Hier muss sich der Gedenkdienst in die Diskussion einmischen“, forderte ein Gedenkdiener aus dem Publikum.
M.Horvath, A.Legerer, J.Pfeifer, S. Roth (Hg.): „Jenseits des Schlussstriches. Gedenkdienst im Diskurs über Österreichs nationalsozialistische Vergangenheit“, Löcker-Verlag, 336 Seiten, Euro 25,- ISBN 3-85409-367-5)
Projekt Details
- Datum 16. Juni 2016
- Tags Pressearchiv 2002