„Dann bin ich ja ein Mörder“ – Walter Manoschek über den NS-Täter, dem die Erinnerung fehlte
Dem Historiker Walter Manoschek ist es 2008 gelungen den NS-Mörder Adolf Storms aufzuspüren. Doch dieser kann sich an seine Taten offenbar nicht erinnern. Walter Manoschek sprach mit Auslandsdienern über seinen Dokumentarfilm „Dann bin ich ja ein Mörder!“ und seine Begegnung mit Adolf Storms.
Das Massaker von Deutsch-Schützen
März 1945 im Burgenland. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges wird verzweifelt an der Errichtung des sogenannten Südostwalls gearbeitet. Einem Abwehrsystem aus Gräben und Wachstellungen, das die Südostgrenze des Reiches gegen die herannahende Rote Armee verteidigen sollte. Fertig gestellt wurde der Wall jedoch nie.
Tausende ungarische Juden wurden unter Aufsicht der HJ zum Bau des Walles gezwungen. So auch im Bauabschnitt an der Burgenländischen Grenzgemeinde Deutsch-Schützen, in dem rund 850 Juden die Schützengräben aushoben. Als der Vormarsch der Roten Armee unaufhaltsam scheint, zwingt man alle jüdischen Südostwallarbeiter zum Marsch ins Konzentrationslager Mauthausen.
Nicht jedoch in Deutsch-Schützen, wo es in diesen Tagen zu einem der grauenvollsten Massaker der letzten Kriegstage kommen sollte. Eine kleine Gruppe SS-Soldaten und HJ-Bannführer ermordeten 60 jüdische Zwangsarbeiter in einem nahegelegenen Waldstück. Offenbar ohne höheren Befehl.
Die fehlende Erinnerung
Dem Historiker und Politikwissenschafter Walter Manoschek gelang es 2008 einen der Täter, den damals 89-jährigen ehemaligen SS-Unterscharführer Adolf Storms ausfindig zu machen. Adolf Storms lebte bis dahin 63 Jahre lang in einer Kleingartensiedlung in Duisburg, unbehelligt und ohne jemals vor Gericht gewesen zu sein. Dabei stand sein Name jahrzehntelang im deutschen Telefonbuch. Ihn ausfindig zu machen, wäre ein Leichtes gewesen.
Mehrere Zeugen bestätigen, dass Adolf Storms persönlich bei der Erschießung in dem Waldstück dabei gewesen war. Walter Manoschek besuchte den Täter, befragte ihn und konfrontierte ihn mit den Aussagen gegen seine Person, die bereits seit dem Prozess gegen die beteiligten HJ-Mitglieder 1956 bekannt waren. Doch Storms fehlt trotz eindeutiger Dokumente die Erinnerung. Er sagt, er wisse nichts von diesen Vorkommnissen. An einer Erschießung in Deutsch-Schützen sei er nicht beteiligt gewesen. Manoschek filmt diese Gespräche.
In mühevoller Kleinarbeit entstand daraus 2012 der Dokumentarfilm „Dann bin ich ja ein Mörder!“, indem die Ereignisse von Deutsch-Schützen aus den Aussagen von überlebenden jüdischen Zwangsarbeitern, ehemaligen HJ-Mitgliedern und der Geschichte von Adolf Storms Mosaikstein für Mosaikstein zusammen gesetzt wird. Doch ein Stein fehlt: Das Geständnis von Adolf Storms. Er hält daran fest, ihm fehle die Erinnerung.
Am 21. Oktober war Walter Manoschek zu Gast in der Online Mittwochskonferenz des Österreichischen Auslandsdienstes und diskutierte mit den gegenwärtigen und zukünftigen Gedenkdienern über Gründe und Hintergründe im Fall Adolf Storms und über die Herausforderungen in Gesprächen mit dem NS-Täter. Auch über wissenschaftliche Fehler sprach Walter Manoschek und seine Rolle als „Therapeut“ während der Interviews mit dem fast 90 Jährigen. Auch die Erinnerungspolitik der Republik Österreich nach 1945 wurde thematisiert, denn das Massengrab in Deutsch-Schützen wurde erst 1995 gefunden, knapp 40 Jahre nach dem Deutsch-Schützen Prozess gegen die HJ Beteiligten.
Im Zuge der Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Auslandsdienst kam es diesen Sommer nun zu Filmscreenings in den USA, während derer Walter Manoscheks Film mit englischem Untertitel in US-Gegedenkdienststellen präsentiert wurde. An der US Shoah Foundation traf der Gedenkdiener Florian Köppl (Bild rechts) Walter Manoschek auch persönlich. „Vor allem, dass der Film und das Interview so sachlich gemacht wurden, obwohl man ja weiß, wer einem gegenüber sitzt, hat mich sehr erstaunt“, berichtet der Gedenkdiener aus Los Angeles. Für ihn sei der Film besonders wertvoll, da er wieder ins Gedächntnis rufe, dass viele NS Täter nach dem Krieg nie zur Rechenschaft gezogen wurden und womöglich bis heute unbemerkt unter uns leben.
Adolf Storms wurde schließlich 2009 des Mordes angeklagt. Wenige Wochen vor Prozessbeginn verstarb er 90 jährig. „Das war für mich eigentlich klar, dass er sich das nicht mehr antut. Sich lieber sterben legt.“, sagt Manoschek. Wie es dazu kommen konnte, dass Storms die Erinnerung an Deutsch-Schützen komplett verdrängte, ist Manoschek bis heute unklar. Bis zuletzt hatte Storms ihm gegenüber darauf beharrt, sich an keinen Mord, kein Massaker erinnern zu können. „Die schlimmste Variante wäre natürlich, dass er schlichtweg vergessen hat, was er in Deutsch-Schützen getan hat.“
Zur Person: Walter Manoschek ist ein österreichischer Politikwissenschafter und Historiker, welcher derzeit eine außerordentliche Professur an der Universität Wien innehat. Den Schwerpunkt seiner Arbeit legt er auf die erste Hälfte des 20.Jahrhunderts in Österreich und Deutschland. Er hat im Laufe seiner Karriere eine Reihe von Büchern über die NS-Zeit publiziert.
Im Februar 2015 erschien das gleichnamige Buch zum Dokumentarfilm „Dann bin ich ja ein Mörder! Adolf Storms und das Massaker an Juden in Deutsch-Schützen“ im Wallsteinverlag.