Weiße Flecken im Kopf und Leichen im Keller, Oberösterreichische Nachrichten

12.11.2001

Projekt Beschreibung

TSCHECHIEN – ÖSTERREICH: Beziehungen zweier jahrhundertelang miteinander verbundener Nationen Weiße Flecken im Kopf und Leichen im Keller Wie können Österreich und Tschechien einander näher kommen. Darüber sprachen auf Schloss Stirin bei Prag über 100 Politiker, Wissenschafter, Diplomaten und Journalisten aus beiden Ländern miteinander. Ziel des Miteinanderredens war es, die künftigen Beziehungen zu verbessern. Doch die Historie und auch das Thema Temelin kamen diesem vom Außenministerium als „regionale Partnerschaft“ titulierten Bemühen in die Quere. Als Oberösterreicher vermochte man durchaus Verwunderung bei Tagungsteilnehmern auszulösen. „Ihr Oberösterreicher mit euren Temelin-Blockaden“, sagt etwa eine prominente ehemalige ORF-Journalistin mit grollendem Unterton. Und Diplomaten in Prag ist der oberösterreichische Landeshauptmann durchaus ein Begriff. „Dieser Pühringer ist wegen Temelin auf einen hohen Baum geklettert und weiß jetzt nicht mehr wie er herunter kommt“, erzählt mir ein Diplomat hinter vorgehaltener Hand. Über alles wolle man sprechen, vorbehaltlos und ohne Tabus – das hatte man sich vorgenommen für diese Konferenz. „Es ist nötig, auch über weiße Flecken offen zu sprechen“, sagt Tschechiens Außenminister Jan Kavan. Die weißen Flecken tauchen während der gesamten Konferenz auf, dafür sorgen schon die Vertreter der sudetendeutschen Landsmannschaft, die in starker Abordnung der Einladung des österreichischen Außenministeriums gefolgt sind. Kern der Forderung der Vetriebenen ist, die in Österreich so genannten Benes-Dekrete zum toten Recht zu erklären, da sie Grundlage der Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem zweiten Weltkrieg waren. Hier gibt es auf beiden Seiten blinde Flecken. In Tschechien begann die Beschäftigung mit der Vertreibung erst nach der Wende vom Dezember 1989. Zudem ist die Forderung nach Aufhebung jener Gesetze, die in Tschechien offiziell als Präsidial-Dekrete bezeichnet werden, in Tschechien mit großen Befürchtungen verbunden. Denn die insgesamt 142 Dekrete regeln auch wesentliche Grundfragen der tschechischen Republik, einige wenige waren Grundlage für die Vertreibung. Die Pauschal-Forderung nach Abschaffung der Benes-Dekrete wird in Tschechien mitunter auch als Forderung nach Beseitigung grundlegenden Rechts (miss)verstanden. Vor allem aber geht die Angst um, dass große Entschädigungen fällig werden könnten. In den Ohren von Tschechen klingt auch die Forderung nach Vergangenheitsbewältigung, wenn diese gerade aus Österreich kommt, mitunter seltsam. „Österreich brauchte mehr als 40 Jahre, um seine Vergangenheit aufzuarbeiten. In Tschechien sind seit dem Ende des Kommunismus erst zwölf Jahre vergangen“, rückt der Innsbrucker Politologe Andreas Maislinger die Verhältnisse zurecht. Diese zwölf Jahre haben Österreich und Tschechien schlecht genutzt, um ihre Beziehungen wieder zu verdichten. „Kurz nach der Wende von 1989 gab es regen Austausch, der aber bald abflaute. Denn Österreich richtete sein Interesse vor allem auf den EU-Beitritt und Prag richtete seine Außenpolitik vor allem auf Deutschland und in der Folge auf Brüssel aus“, erläutert der Historiker Emil Brix vom Wiener Institut für den Donauraum und Mitteleuropa. Lesen Sie morgen: Pavel Kohout über österreichisch-tschechische Beziehungen.

Projekt Details

  • Datum 3. Juli 2016
  • Tags Pressearchiv 2001

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