Über die Arbeit Wehrpflichtiger aus Österreich in der Gedenkstätte Theresienstadt, Prager Zeitung

02.1996

Projekt Beschreibung

 
Prager Zeitung 2/1996

Zivildienstleistende, Gedenkdiener und eine kontroverse Pazifismusdiskussion

Über die Arbeit Wehrpflichtiger aus Österreich in der Gedenkstätte Theresienstadt

Von Kerstin Schirp

Schirp Terezin (Prag) – Ein Österreicher macht in Theresienstadt Zivildienst. Ist, was vor drei Jahren eine Sensation war, heute Routine? Hat sich der Anfangsoptimismus bewährt und die Zusammenarbeit als positiv herausgestellt? Oder ist das Projekt eingeschlafen? Der 21jährige Uli Huemer ist der vierte Österreicher, der seinen Dienst in Theresienstadt leistet. Was in Deutschland durch die Aktion Sühnezeichen schon lange möglich war, mußte sich in Österreich erst langwierig durchsetzen. Seit 1991 können aber auch hier junge Männer im Zuge des „Gedenkdienstes“, ihren Zivildienst in Holocaustgedenkstätten im Ausland ableisten. Die jeweilige Arbeit richtet sich dabei stark nach den Kenntnissen des einzelnen. Huemer, der in Berlin Geschichte studiert, konzentriert sich in erster Linie auf historische Arbeiten. So wirkt er etwa am Gedenkbuch der „Theresienstädter Initiative“ mit, deren Ziel es ist, die Namen und Daten aller in Terezin Getöteten festzuhalten. Darüber hinaus betreut der junge Österreicher Jugendgruppen und leitet Führungen. Im nächsten Frühling möchte er nicht nur ein Seminar zum Thema „Faschismustheorien“ organisieren, sondern auch ein internationales Filmkomposium veranstalten. Den Hintergrund hierfür liefert der nationalsozialistische Propagandafilm „Ein Bericht aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“, der im Ghetto auch „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ genannt wurde. Diese Form der freien Arbeit war jedoch nicht immer selbstverständlich. Als ich begann, war das eigentlich schon Routine. Am Anfang war es dagegen noch sehr ungewöhnlich, daß jemand herkommt und etwas selbständig macht.“ So war Bernhard Schneider, dem ersten Gedenkdienstleistenden, einem ausgebildeten Architekten noch mitgeteilt worden, daß man gedenke, ihn „als Hilfsarbeiter auszunützen“. Später lenkte Schneider jedoch internationales Interesse auf sich; als er einen Malworkshop mit den Meisterschülern des österreichischen Akademieprofessors Anton Lehmdens organisierte. Die hier entstandenen Bilder sind mittlerweile neben Tschechien und Österreich auch in Deutschland, Ungarn und Israel ausgestellt worden und befinden sich derzeit in Kanada. Auf die Frage, warum Huemer sich für diesen Dienst entschieden hat, der sowohl arbeitsintensiver als auch mit 14 Monaten länger ist als der übliche Zivildienst, antwortet er: „Zum einen habe ich mich schon in Berlin viel mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt, diese Arbeit kann ich hier fortführen. Zum anderen ist die Auslegung des Nationalsozialismus wichtig für die politische Diskussion heute. Zum Beispiel wenn man sieht, wie schwer sich die Deutschen tun, Soldaten nach Jugoslawien zu schicken, aber es auch wieder andere gibt, die sagen: gerade wegen Auschwitz nach Jugoslawien.“ Über mangelnde Zusammenarbeit kann sich Huemer nicht beklagen. Nicht nur, daß er freundlich aufgenommen wurde („Die haben höchstens gelacht, weil ich im Gegensatz zu meinen Vorgängern nicht so gut Tschechisch kann“), die Arbeit der Gedenkdiener in Theresienstadt war bisher auch so erfolgreich, daß die Theresienstädter Initiative, die 1989 von Überlebenden gegründet wurde, Interesse. an einem eigenen österreichischen Mitarbeiter bekundet hat. Für die Zukunft wünscht sich der Initiator des Gedenkdienstes, der Innsbrucker Politologe Andreas Maislinger, allerdings einen veränderten gesetzlichen Rahmen. So solle neben Militär- und Zivildienst der Gedenkdienst eigenständig bestehen. Wehrdienstpflichtige müßten sich nicht mehr auf ihre pazifistische Haltung berufen und verweigern, um an einer Gedenkstelle ihren Dienst aufnehmen zu können. Denn, so Maislinger, „Gedenkdiener sind keine Pazifisten. Wer Auschwitz gesehen hat, kann kein Pazifist mehr sein. Wie wurde denn Auschwitz befreit, durch Demonstrationen oder durch Armeen?“ Über einen Mangel an kontroversen Diskussionen wird sich der Gedenkdienst bei solchen Thesen wohl auch in Zukunft nicht beklagen können.

Projekt Details

  • Datum 28. September 2016
  • Tags Pressearchiv 1996

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