Tiroler Tageszeitung (Innsbruck) – 20. Jänner 1999 Kohn / Wissenschaft ist nicht national

20. Jänner 1999

Projekt Beschreibung

Nobelpreisträger: „Wäre nie nach Österreich zurückgekommen – Schlechteste Erfahrungen meines Lebens

Kohn: Wissenschaft ist nicht national

Seinen ersten Besuch als frischgebackener Nobelpreisträger stattet seit gestern der Physiker Walter Kohn der Bundeshauptstadt Wien ab. Wien (APA). Der Chemienobelpreisträger 1998, Walter Kohn, wurde in Wien geboren, mußte aber 1939 aufgrund seiner jüdischen Herkunft die Heimat verlassen. Er, der in den USA wissenschaftliche Karriere machte, wurde nach dem zweiten Weltkrieg nie eingeladen, nach Österreich zurückzukehren. „Ich habe das aber nie bedauert, weil ich nicht wieder zurückgekommen wäre. Ich lebte nach dem Anschluß noch eineinhalb Jahre in Wien und habe da die schlechtesten Erfahrungen meines Lebens gehabt. Da zurückzukehren, wäre unmöglich gewesen“, sagte Kohn gestern bei einer Pressekonferenz in Wien. Der 75jährige Physiker startete am Dienstag seinen ersten Wien-Besuch als frischgebackener Nobelpreisträger. Heute Mittwoch wird Walter Kohn von Bundespräsident Thomas Klestil empfangen. Am Nachmittag wird der Wissenschafter am zweitägigen ORF-Symposium „Zukunft der Forschung“ teilnehmen.   Erinnerungen werden wieder lebendig Wenn er in Wien durch die Straßen spaziere, dann würden die Erinnerungen an die Vergangenheit sofort wieder lebendig, „davon kann ich nicht wegkommen“, sagte Walter Kohn. Daß er dennoch wieder seine Heimat besucht, hat sich erst langsam entwickelt: Zuerst war da eine jahrelange wissenschaftliche Verbindung zu dem theoretischen Physiker Walter Thirring. Dieser habe ihn zu einem Vortrag nach Wien eingeladen, den er aber erst nach Ende der Waldheim-Präsidentschaft halten wollte. Dann habe sich die Verbindung zur Technischen Universität Wien entwickelt, speziell zu Peter Weinberger vom Institut für Elektro- und Festkörperchemie. Schließlich habe ihm die TU Wien das Ehrendoktorat angeboten, „das ich gerne angenommen habe“. Ihm Rahmen der Ehrung habe er einige Studenten und Gedenkdiener kennengelernt, die ihm sehr imponiert haben, erinnerte sich der Nobelpreisträger. „Es gibt also auch Sachen, die mich hier anziehen.“   „Der Nobelpreis hat eine gewisse Aura“ Die Frage, ob der Nobelpreis sein Leben verändert habe, beantwortet Kohn belustigt mit „natürlich“. Der Nobelpreis habe „eine gewisse Aura, man hat dann Möglichkeiten, die man vorher nicht hatte“. So nutze ihn „seine“ in Santa Barbara (US-Bundesstaat Kalifornien) „schamlos aus, um Geld aufzutreiben“. Daß so viele Nobelpreise an Mitarbeiter amerikanischer Universitäten gehen, führt der Wissenschafter auf das Glück der USA zurück, so viele höchst talentierte Leute anzuziehen. Viele der Ausgezeichneten seien ja nicht in den Vereinigten Staaten geboren. Außerdem könnten in den USA junge Forscher schon früh beginnen, ihre eigenen Ideen zu verfolgen, nennt Kohn einen weiteren Grund für die wissenschaftliche Vorherrschaft der Amerikaner. Hervorgehoben wurde von Kohn die Internationalität der Forschung. Diese sei „nicht national oder gar ethnisch“, sagte der Physiker, der in diesem Zusammenhang an frühere Begriffe wie „deutsche“ oder „jüdische Wissenschaft“ erinnerte. Von Nils Bohr, bei dem der Forscher einige Jahre gearbeitet hat, habe er den Gedanken mitbekommen: „Wissenschaft hat die besondere Möglichkeit und Pflicht, etwas zum globalen Menschenbegriff beizutragen.“ Nach Ansicht des Nobelpreisträgers sind Konkurrenzkämpfe innerhalb der Wissenschaft in den vergangenen Jahren nicht brutaler geworden, wohl aber die modernen Anwendungen der Wissenschaft. „Das fängt beim Giftgas im Ersten Weltkrieg an, geht über die brutalen Bombenangriffe auf Zivilisten im Zweiten Weltkrieg, und dann kam der Holocaust, der auch eine wissenschaftliche Komponente gehabt hat““ sagte Kohn.   „Wissenschaft ist etwas Wunderbares“ Dennoch plädiert der Physiker, in der Bevölkerung für Verständnis und Interesse für die Forschung zu werben. Es gehe darum, zu zeigen, „daß Wissenschaft nicht nur etwas Nützliches, sondern auch etwas Wunderbares ist“. Damit müßte sich die wissenschaftliche Gemeinschaft mehr beschäftigen, so Kohn.

Projekt Details

  • Datum 25. September 2016
  • Tags Pressearchiv 1999

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