Jörg Haider, Jüdische Rundschau, 7.07.1994

07.07.1994

Projekt Beschreibung

Jörg Haider

von Andreas Maislinger

Obwohl Jörg Haider, der Vorsitzende der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), nur selten die Landesgrenzen überschreitet, um dann höchstens durch jene faulen Tomaten auf sich aufmerksam zu machen, mit denen er beworfen wird, dürfte er den Lesern der Jüdischen Rundschau bekannt sein. Außer seinem Vergleich mit der „ordentlichen Beschäftigungspolitik…“ werden Sie sicher auch wissen, daß sich Jörg Haider im Umfeld der Leugner des Holocaust anscheinend wohlfühlt. Und trotzdem steht in seinem Buch „Die Freiheit, die ich meine“ auf Seite 116:

„Das Schlimmste am Nationalsozialismus war zweifellos der zur Massenvernichtung führende Antisemitismus und Rassismus. Solche Verbrechen sind nicht wiedergutzumachen. Deutschland hat es versucht, soweit dies in materieller Form möglich ist. Österreich hat Gleiches unter Hinweis auf seine Opferrolle den Deutschen überlassen. Erst fünfzig Jahre danach fühlte sich Österreichs Bundeskanzler bemüßigt zu erwähnen, daß auch Österreicher an den Verbrechen beteiligt gewesen seien – für einen in seinem Selbstverständnis hauptamtlichen „Antifaschisten“ eine schwache und späte Leistung. Kollektivschuld lehne ich kategorisch ab. Aber eine gemeinsame Verantwortung gibt es, weil die Geschichte ein gemeinsames Erbe ist.“

Selbst wenn es nicht so aussieht: Auch diese Aussage paßt ins Haider-Konzept. Obwohl er zu jenen österreichischen Politikern gehört, über die am kritischsten berichtet wird und die am genauesten beobachtet werden, und obwohl soviel über Haider geschrieben und gegen seine Politik unternommen wird, ist seine Strategie immer wieder in einem erstaunlichen Ausmaß erfolgreich. Dies dürfte auch für den Bereich „Vergangenheitsbewältigung“ gelten. Haider legt sich jetzt offensichtlich ein Reservoir an nicht anzweifelbaren Begegnungen und Stellungnahmen zu. Dazu gehört die zitierte Stelle aus seinem Buch ebenso wie ein jüngster Besuch im United States Holocaust Memorial Museum in Washington. Auch bei seinen Anhängern, bei denen sich die Begeisterung über derartige Äußerungen und derartige Besuche sicher in Grenzen hält, kann es Zustimmung hervorrufen, wenn Haider in der richtigen Umgebung und im passenden Augenblick „Ich war im Holocaust Museum“ sagt.

So geschehen am 27. Juni in einer vom Freiheitlichen Bildungswerk, der Politischen Akademie der FPÖ, veranstalteten Diskussion über „Freiheit der Kunst“ in Wien, an der neben Haider unter anderen auch der Bildhauer Alfred Hrdlicka teilgenommen hatte. Als es um seine von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien kritisierte Figur des knieenden, den Boden waschenden Juden ging, konnte Jörg Haider nicht ohne erkennbare Freude über sein „Argument“ sagen: „Ich war vor ein paar Tagen im Holocaust-Museum, da existieren ja Fotos von straßenwaschenden Juden in großer Zahl, also verstehe ich nicht, warum Hrdlicka das nicht darstellen sollte.“ Ohne es weiter ausführen zu müssen, konnte er bei seinen Anhängern punkten: „Unser Jörg kennt sich aus. Jetzt hat er es den Juden wieder gezeigt.“

Wir wissen also genau, warum Jörg Haider das Holocaust-Museum besucht hat, und die zitierte Aussage in seinem Buch war natürlich als Angriff gegen den Bundeskanzler gedacht und ist keineswegs als völlige Kurskorrektur zu verstehen. Und trotzdem bleibt es dabei, daß Jörg Haider die Vernichtung der Juden als das Schlimmste am Nationalsozialismus bezeichnet hat. Wäre es nicht eine Überlegung wert, ihn auch diesmal beim Wort zu nehmen? Wie sehr es Haider gelingt, sogar seine heftigsten Kritiker für sich zu benutzen, zeigt folgende Begebenheit: Der Wiener Journalist Hans-Henning Scharsach hat in seinem Bestseller „Haiders Kampf“ auf über 200 Seiten Belege für Haiders Anklänge an den Rechtsextremismus zusammengetragen. Die Reaktion bei seinen Anhängern war nicht selten begeisterte Zustimmung. Mit Schmunzeln berichtete ein enger Mitarbeiter, daß Jörg Haider immer wieder das Buch von Scharsach zum Signieren vorgelegt bekam. Genau so wie ihn Scharsach beschrieben hatte, wollten ihn viele seiner Anhänger sehen: Als chauvinistischen Populisten, der Schönhuber, Le Pen und anderen Rechtextremisten voranschreitet. Das als Kritik konzipierte Buch diente ihnen als Beweis für die Vorreiterrolle Haiders.

Für Haider ist alles nur ein Spiel mit ständig wechselnden Regeln. Klarstellungen sind von ihm nicht zu erwarten, da sie außerhalb der von ihm selbst aufgestellten Regeln liegen. Dieser Kommentar will dazu auffordern, nicht länger den Regeln Jörg Haiders Folge zu leisten. Ihn betreffend die „gemeinsamen Verantwortung“ beim Wort zu nehmen, könnte ein Beispiel dafür sein, sich von Haider nicht mehr instrumentalisieren zu lassen. Dr. Andreas Maislinger, freier Publizist in Innsbruck, Leiter des Projektes Gedenkdienst und der Braunauer Zeitgeschichte-Tage

Projekt Details

  • Datum 25. August 2016
  • Tags Pressearchiv 1994

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