Braunau am Inn, etwa 16.700 Einwohner, präsentiert sich Touristen als „älteste und größte Stadt im Innviertel“. Doch nicht alle Besucher steht hier der Sinn nach historischem Stadtkern und Kirchen. Immer wieder kommen Neonazis aus allerlei Ländern in die Stadt nahe der deutsch-österreichischen Grenze und fotografieren sich vor dem Geburtshaus von Adolf Hitler. Zu viele nach Ansicht des österreichischen Innenministern Wolfgang Sobotka. Der ÖVP-Politiker will das umstrittene Gebäude abreißen lassen – als Zeichen gegen die internationale Neonaziszene.

„Mein Vorschlag liegt klar auf der Hand. Abriss und ein neues Statement. Was immer man dort bauen möchte – eine Erinnerungsstätte mit Sicherheit nicht“, sagte Sobotka der Deutschen Presse-Agentur. Das österreichische Parlament wird voraussichtlich im Oktober eine Enteignung des Grundstücks beschließen. Eine Art Weisenrat aus zwölf Mitgliedern aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft soll im Herbst Vorschläge machen, was danach auf dem Grundstück passieren soll.

Sobotka sieht im Neonazitourismus in Braunau ein Problem. „Gar nicht so sehr wegen der österreichischen Neonaziszene, sondern wegen der internationalen. Die kommen immer wieder nach Österreich und lassen sich dort fotografieren.“ Der Ort sei unter den Nazis immer noch ein Symbol, weshalb es wichtig sei, „diese Symbolik durch eine entsprechende Nutzung zu durchbrechen“. Europaweit habe der Tourismus der Ewiggestrigen wieder zugenommen, sagt auch Gerhard Baumgartner, Leiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands. So sei schon ein Bus aus Ungarn vor dem Geburtshaus vorgefahren, sagte er im Radiosender Ö1.

Das Innenministerium geht davon aus, dass bis Ende 2016 über Nutzung oder Abriss entschieden ist. „Die Vorschläge werden erst nach getaner Arbeit veröffentlicht“, sagt ein Sprecher. Die Namen der Kommissionsmitglieder werden nicht offensiv kommuniziert, zu ihnen gehören aber der Wiener Historiker Oliver Rathkolb und der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Oskar Deutsch.

Denkmalschutz steht im Weg

Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) in Wien unterstützt die Pläne von Innenminister Sobotka. „Ob man an diesem Ort künftig das eine oder andere Projekt implementiert, ist aus unserer Sicht Gegenstand eines nächsten Schrittes“, zitierte die Jüdische Allgemeine den IKG-Generalsekretär Raimund Fastenbauer. „Wir wünschen uns aber den Abriss.“

In die Reihe der Abrissbefürworter gesellt sich auch er Bundespräsidentenkandidat der FPÖ, Norbert Hofer. „Man kann eh nur eine Gedenkstätte machen. Oder man kann abreißen. Wenn Sie mich fragen, ich wäre eher für das Abreißen„, kommentierte er.

Der Staat hatte das Haus, in dem der spätere Diktator sein erstes Lebensjahr verbrachte, 1972 angemietet. Jahrelang war darin eine Behindertenwerkstatt untergebracht. Weil die Besitzerin Umbauten verweigerte, stand das Gebäude seit 2011 leer. Für Österreich bedeutet das vor allem Kosten: Rund 300.000 Euro Miete hat der Staat laut Sobotka seitdem überwiesen, um der Gefahr einer nicht adäquaten Nutzung vorzubeugen. „Eine Enteignung ist nicht einfach. Damit muss man sorgsam umgehen.“

Man habe alles versucht, um in Verhandlungen zu einer gütigen Lösung zu kommen. Das Objekt sollte keinesfalls in „obskure Hände“ kommen, so Sobotka, deshalb nun die Enteignung. Als Teil des Ensembles der sogenannten Salzburger Vorstadt steht das Gebäude seit 1993 unter Denkmalschutz. Das macht die Nachnutzung oder den Abriss nicht einfacher, der Einsatz der Abrissbirne ist dank eines Gesetzentwurfs allerdings rechtlich möglich. Seit vielen Jahren wird das Modell eines „Hauses der Verantwortung“ diskutiert.

Ein Supermarkt an diesem Ort?

Einige Vorschläge, was in Braunau passieren soll, gehen noch weiter. Baumgartner fordert eine völlige Entpolitisierung des Ortes. „Wir müssen dort etwas hinstellen, vor dem sich niemand wirklich fotografieren lassen will – einen Supermarkt, einen Humana-Markt, ein Feuerwehrhaus“, sagte er.

Der Supermarktvorschlag ist für den Stadtverein Braunau indiskutabel. „Damit ist für uns die Schmerzgrenze an Peinlichkeit überschritten worden“, teilte Vereinschef Ingo Engel mit. „Das ist Unsinn“, hält auch Florian Kotanko vom Verein Braunau History dagegen. Alle müssten sich im Klaren sein, dass ein Abriss nicht das Ende der Geschichte wäre. „Das funktioniert nicht nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn“, sagt Kotanko. Auch auf dem nahen Obersalzberg, wo mit dem Berghof das Landhaus Hitlers stand, würden Menschen Stellen fotografieren, wo vor der Zerstörung durch die US-Militärs Gebäude standen.

Kotanko könnte sich vor oder im Gebäude historische Informationen vorstellen, mit einer vertiefenden Schau im Bezirksmuseum. Zugleich könnten die Räume als Malwerkstatt für ein Therapiezentrum oder als Integrationszentrum im Zeichen der Flüchtlingskrise genutzt werden. „Weder Wegreißen noch Verschweigen bringt etwas“, meint er. Nach dem Vorbild Nürnberg – dort ist das Reichsparteitagsgelände der Nazis inzwischen historisch voll erschlossen – verspreche eine offensive Nutzung am meisten.

Bürgermeister Johannes Waidbacher stimmt nach wie vor für eine sozial-edukative Nachnutzung. Er sieht einen Standort der Volkshochschule oder Volkshilfe. „Wir wollen einen historisch korrekten Umgang mit dem Hitler-Haus.“ Dass Hitler hier geboren worden sei, bleibe in den Köpfen der Menschen. „Damit stehen wir in den Geschichtsbüchern.“