Ausgegrenzt, verfolgt, getötet, Der Standard

01.10.2001

Projekt Beschreibung

Ausgegrenzt, verfolgt, getötet

10. Zeitgeschichte-Tage in Braunau beschäftigten sich mit Roma und Sinti

Michael Möseneder

Braunau – „Das ,Dritte Reich‘ hat für uns niemals aufgehört zu existieren, es fragt sich nur, wo es sich zurzeit aufhält.“ Mit drastischen Worten leitete der Vorsitzende des Roma National Congress (RNC), Rudko Kawczynski, die zehnten Braunauer Zeitgeschichte-Tage ein, die am Sonntag zu Ende gingen. Thema war die Minderheit der Roma und Sinti, ihre Geschichte, Kultur und aktuelle Lage.

Bei seinem Referat am Freitagabend skizzierte Kawczynski die Lage der Roma und Sinti in Mitteleuropa aus Sicht des RNC, einer internationalen Dachorganisation aus rund 400 Vereinigungen. Sein Resümee: Die so genannten Zigeuner (Ein Wort, das übrigens laut Kawczynski nicht von ziehender Gauner, sondern von einem alttürkischen Begriff für Sklave abstammen dürfte) werden nach wie vor ausgegrenzt, verfolgt und getötet.

So wurden seit Anfang der 90er-Jahre in Europa rund 3500 Roma und Sinti (der Unterschied besteht übrigens darin, dass Sinti eher in deutschsprachigen Gebieten beheimatet sind) getötet und 20.000 verletzt, besonders in den Gebieten des ehemaligen Jugoslawien. Aber auch innerhalb der Europäischen Union werden verstärkte Tendenzen registriert, den Aufenthalt für nicht sesshafte Roma und Sinti möglichst unattraktiv zu machen, konstatiert der RNC.

Keine Entschädigung

Benachteiligt fühlt sich Kawczynski auch besonders von Deutschland, wo in der Nazizeit rund 500.000 Roma und Sinti ermordet wurden. Im Gegensatz zur Situation der jüdischen Organisationen und Israels hätte es aber nie Entschädigungen gegeben, die Drangsalierung sei im Gegenteil auch nach dem Ende der Hitlerschen Schreckensherrschaft weitergegangen, zum Teil von denselben Männern, die auch schon unter den Nazis die Ausrottung organisiert hatten.

Diese Sichtweise führte zu Diskussionen mit dem Publikum und dem wissenschaftlichen Leiter der Zeitgeschichte-Tage, dem Innsbrucker Andreas Maislinger. Dieser verwies darauf, dass die Roma und Sinti erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit organisiert seien, um ihre Forderungen artikulieren zu können.

Die Vision des RNC ist daher ein „Europa ohne Grenzen“, wo die Roma und Sinti eine respektierte Minderheit sind. Rund zwölf Millionen von ihnen gibt es weltweit, die meisten leben am Balkan, wohin sie seit dem 11. Jahrhundert von den Osmanen als Sklaven aus Indien gebracht wurden.

Einen kleinen Beitrag in Richtung dieser Vision will man in Hitlers Geburtsstadt leisten. Der Braunauer Bürgermeister Gerhard Skiba (SP), kündigte an, dass im kommenden Frühjahr ein neuer Campingplatz eröffnet wird, um Durchreisenden einen „menschenwürdigen Aufenthalt“ zu ermöglichen. Um rund 1,3 Millionen Schilling (94.474 EURO) wird der Platz adaptiert, ein Beschluss, dem alle Gemeinderatsfraktionen zugestimmt haben. Eine Einheit, die nicht selbstverständlich ist. Denn die Zeitgeschichte-Tage wurden von der FPÖ noch nie unterstützt.

www.hrb.at/bzt/

Projekt Details

  • Datum 3. Juli 2016
  • Tags Pressearchiv 2001

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