Der Geburtsort Mussolinis – Ein schwieriges Erbe

Predappio

Palazzo Varano, heute das Rathaus von Predappio

Palazzo Varano, heute das Rathaus von Predappio

Eigentlich ist Predappio eine nur zu gewöhnliche, kleine italienische Ortschaft. Die ländliche Gemeinde liegt in der Region Emilia-Romagna und hat gerade einmal 6500 Einwohner. Zu den wenigen Sehenswürdigkeiten zählen die Anfang der 1930er Jahre erbaute römische Kirche Sant’Antonio di Padova am Fuße des gleichnamigen zentralen Platzes, und der auf einer kleinen Anhöhe mit Blick auf die Kirche gelegene Palazzo Varano, welcher heute als Rathaus dient.

Auf den Ersten Blick ist das ruhige Predappio damit wahrlich kein Ort, von dem man annehmen würde, dass ihm ein bedeutender Platz in der italienischen Geschichte zukommt. Eigentlich. – Wäre da nicht der Umstand, dass über dem Apennin-Städtchen bis heute der Schatten des Faschismus hängt. Denn hier wurde im Jahre 1883 Benito Amilcare Andrea Mussolini geboren, der spätere Diktator und Duce („Führer“) des Faschismus in Italien.

Mussolinis Schatten

© ilgiorno.it

© ilgiorno.it

Die Geschichte Mussolinis zieht sich wie ein roter Faden durch Predappio. Nicht nur das Geburtshaus von Benito Mussolini liegt hier, sondern auch seine Grabstätte. Der Palazzo Varano – einst eine Schule an der Mussolinis Mutter Rosa Maltoni lehrte. Die Chiesa di Sant’Antonio – in Auftrag gegeben von Arnaldo Mussolini, Bruder von Benito Mussolini und selbst überzeugter Faschist.

Auch 70 Jahre nach Mussolinis Ermordung durch kommunistische Partisanen hat der kleine Ort noch mit diesem Erbe zu kämpfen. Vielen Italiener sehen den Duce weiterhin als eine schillernde Figur an. Eine breitflächige und selbstkritische Aufarbeitung des zweiten Weltkrieges beziehungsweise eine Auseinandersetzung mit dem Führer, wie es in Deutschland nach dem Ende des Krieges passierte, fand in Italien bis heute nicht statt.

Politisch existierte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und damit der Ära des Faschismus praktisch ein unausgesprochenes Abkommen, sowohl die extreme Rechte als auch die extreme Linke aus den politischen Bündnissen herauszuhalten. Doch in den vergangenen zwei Jahrzehnten änderte sich dies. Bei dieser Auflockerung hatte Berlusconis Forza Italia keine unbedeutende Rolle. Bewegungen, die sich an der Grenze zum Rechtsextremen bewegen, wurden an Koalitionen beteiligt und kandidierten nicht nur auf landesweiter Ebene, sondern auch bei Europawahlen.

Mit den jüngsten Erfolgen rechter Kräfte wie der Front National in Frankreich und nun der AfD in Deutschland, fühlen sich rechte Bewegungen auch in Italien zunehmend bestärkt, politisch aktiv zu werden. Im Moment scheitern diese noch an den Prozentklauseln. Allerdings festigen sich junge und sich modern gebende neofaschistische Bewegungen wie die CasaPound und die Tricolour Flame zunehmend in italienischen Städten. Sie geben sich dabei einerseits ganz bürgerlich, beteiligen sich an sozialen Aktionen wie zum Beispiel beim Saubermachen der Stadt, leisten Arbeit im Zivil- und Umweltschutz oder auch im medizinischen Bereich. Andererseits aber verbreiten sie auf Info- und Kulturveranstaltungen, in Buchläden und bei Sportvereinen – so auch in der Fußballszene – offen faschistisches Gedankengut.

Mussolini Souvenir-Shops © lindro.it

Mussolini Souvenir-Shops © lindro.it

Die kleine Gemeinde Predappio kämpft seit Jahren mit dem Zustrom von Ewiggestrigen, Nationalisten und Mussolini Fans. Der bizarre Kult um den Duce veranlasst tausende Menschen dazu, an seinem Geburts- und Todestag, wie auch am Jahrestag des „Marsch auf Rom“, der die Übernahme Italiens durch die Faschisten markierte, nach Predappio zu pilgern, um den einstigen Führer Italiens zu verehren. Das Besucherbuch an Mussolinis Grab ist gefüllt mit nostalgischen Botschaften und Lobpreisungen auf den ehemaligen Diktator.

Befremdlich – bei der großen Nachfrage aber nicht unbedingt verwunderlich – ist, dass es mittlerweile auch viele Souvenirshops in Predappio gibt, die Mussolini-Devotionalien wie T-Shirts, Statuen, Tassen, Kalender usw. verkaufen.

Geplantes Dokumentationszentrum: Widerstand gegen den Mussolini-Kult

Bürgermeister von Predappio Giorgio Frassineti

Bürgermeister von Predappio Giorgio Frassineti

Die Mehrheit der Bewohner Predappios ist jedoch alles andere als glücklich über die untrennbare Verbindung des Namens Mussolini mit ihrer Stadt. Schon in dem Wahlprogramm des sozialdemokratischen Bürgermeisters Giorgio Frassineti versprach er, dem Mussolini-Pilgertum nach Predappio mit der Schaffung eines Dokumentationszentrums über Mussolini und den Faschismus entgegenzuwirken – und auch dafür wurde er wiedergewählt.

Das Dokumentationszentrum im Zentrum der Stadt soll sich mit dem Faschismus in Italien und dessen schrecklichen Auswirkungen auf die italienische Bevölkerung befassen. Ein Ort, an dem Professoren und Forscher das Thema behandeln, kritisch reflektieren und diversen Projekten, wie der Realisierung von Ausstellungen, nachgehen können. Frassineti bekräftigte in dem Artikel mit der italienischen Zeitung „La Stampa“, dass dieses Dokumentationszentrum „nicht dem Zweck der Verherrlichung des einstigen Diktators gilt, sondern viel mehr der Aufarbeitung einer der dunkelsten Zeitabschnitte der italienischen Geschichte.“

Casa del Fascio (Haus des Faschismus) - geplanter Sitz des Dokumentationsarchiv

Casa del Fascio (Haus des Faschismus) – geplanter Sitz des Dokumentationsarchivs

Geplant ist, dass das Dokumentations- und Forschszentrum in der leerstehenden „Casa del Fascio“ („Haus des Faschismus“) umgesetzt werden soll. Das Gebäude wurde 1930 im Baustil des Faschismus errichtet, mit der Absicht, ein Monument zur Glorifizierung Mussolinis zu schaffen. Gerade deshalb könnte die Struktur sich nun als besonders geeignet erweisen, um die Geschichte des Faschismus zu entzaubern.

Giorgio Frassineti gegenüber CNN:

„Das Gebäude ist im Moment ein Symbol für ein Land, das sich nicht mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen möchte. Die Reflektion eines Themas wie des Faschismus ist nie einfach… Symbolische Orte wie Predappio können helfen, diesen Prozess voranzubringen.“

Das Umsetzung des ambitionierten Projektes ist zwar noch in der Anfangsphase, hat aber bereits einige prominente Fürsprecher. Die Regierung Renzi hat dem Bürgermeister finanzielle Unterstützung zugesagt und es wird damit gerechnet, dass das Projekt ebenfalls eine Förderung durch die EU erhält, trotzdem fehlen immer noch Fördermittel. Nach den aktuellen Planungen soll das Projekt bis 2019 fertig gestellt sein.

Die Situation in Predappio erinnert an das Hitler-Geburtshauses in Braunau am Inn. Seit langem wird in hier ebenfalls emotional der richtige Umgang mit dem Erbe diskutiert. Die Suche nach einer Lösung, um sicher zu stellen, dass das Haus nicht zur Pilgerstätte Ewiggestriger wird, ist schwierig. Dr. Andreas Maislinger, Vereinsvorsitzender des Österreichischen Auslandsdienstes und Initiator der Braunauer Zeitgeschichte-Tage, plädiert seit über 15 Jahren für das Projekt „House of Responsibility“, welches das Gebäude in eine internationale Begegnungsstätte für junge Menschen verwandeln soll, in dem die Prinzipien von Freiheit, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit vermittelt werden.

Auf den 20. Braunauer Zeitgeschichte-Tagen war Bürgermeister Frassineti ebenfalls zu Gast, wo auch der Kontakt zwischen dem Österreichischen Auslandsdienst und Predappio hergestellt und erstmals eine Kooperation besprochen werden konnte.

Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Auslandsdienst

Gedenkdienst-Kandidat Felix Hafner, Bürgermeister von Predappio Giorgio Frassineti und Rom-Gedenkdiener Michael Kopp

Gedenkdienst-Kandidat Felix Hafner, Bürgermeister von Predappio Giorgio Frassineti und Rom-Gedenkdiener Michael Kopp

Am Donnerstag den 10. März 2016 besuchten der Gedenkdiener an der Fondazione Museo della Shoah Michael Kopp und sein 2017 Nachfolger Felix Hafner den Bürgermeister von Predappio Giorgio Frassineti im Rathaus nicht unweit von Mussolinis Geburtshaus um mehr über sein Projekt zu erfahren und eine Zusammenarbeit zu besprechen.

Michael Kopp

Michael Kopp:
„Wir als Österreichischer Auslandsdienst wollten uns die Chance nicht entgehen lassen bei der Realisierung dieses Projektes dabei gewesen zu sein. Bei unserem Besuch hielten wir eine kurze Präsentation über den Auslandsdienst und legten Frassineti dar, welche Kontakte wir ihm in Italien, in Österreich und international bieten können. Darüber hinaus besprachen wir mit dem Bürgermeister einige Punkte:

1. die künftige Zusammenarbeit zwischen Predappio und dem Österreichischen Auslandsdienst,
2. die Parallelen zwischen HRB und dem geplanten Dokumentationszentrum in Predappio,
3. die Möglichkeit einer neuen Gedenkdienststelle in dem zukünftigen Dokumentationszentrum

Weiters haben wir gegenüber Giorgio Frassineti eine Einladung zu einer unserer Mittwochkonferenzen ausgesprochen, die er gerne annahm.

In Zukunft werden Gedenkdiener, welche ihren Dienst in Italien leisten, sich speziell mit diesem Thema befassen und sich für die Aufrechterhaltung der Beziehungen zu Predappio einsetzen.

von Ingo Zipser / Michael Kopp

Bericht von der Verleihung des Austrian Holocaust Memorial Award 2016

austrian-holocaust-memorial-award-2016-ceremony
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