Zivildienst etwas anders – im jüdischen Altenheim in Norwegen, Nedelja

10.06.2001

Project Description

Nedelja (Klagenfurt/Celovec) 10. Juni 2001 Zivildienst etwas anders – im jüdischen Altenheim in Norwegen Darko Wakounig aus Köttmannsdorf leistet seit Anfang des Jahres seinen Zivildienst im Ausland ab. Im jüdischen Altenheim in Oslo hilft er bei alltäglichen Besorgungen – Reinigung, Verwaltung des Hauses, Gespräche mit den Heimbewohnern. Darko ist der erste österreichische Zivildiener, der an dieser Stelle seinen 14-monatigen Dienst ableistet. Damit wird das Netz der Orte, wo diese besondere Art des Zivildienstes möglich ist, dichter. Für „Nedelja„ beschrieb Darko seine Eindrücke, die sich in den ersten vier Monaten seines Dienstes angesammelt haben. Anfang Jänner dieses Jahres habe ich meinen Zivildienst angetreten. Nichts besonderes eigentlich, schließlich widerfährt das gleiche Schicksal jeden Monat einigen Dutzend Männern in unserem Land. Der Hauptunterschied im Vergleich zum üblichen Zivildienst ist vielleicht der, daß ich außerhalb der Grenzen Österreichs diene. In der Hauptstadt Norwegens Die Stadt, die ich mir zum Abdienen meiner staatsbürgerlichen Pflicht ausgesucht habe, ist die Hauptstadt Norwegens – Oslo, die Institution, wo ich arbeite, ist das jüdische Altenheim. Seit Anfang dieses Jahres ist es meine Aufgabe, für die Dauer von vierzehn Monaten für das Wohl der Bewohner zu sorgen – mit ihnen spazieren zu gehen, für sie verschiedene Arbeiten zu verrichten, wie zum Beispiel das Einkaufen, sie zum Arzt zu begleiten oder mir einfach Zeit zu nehmen und mich mit wem zu unterhalten. Gerade letzteres war anfangs natürlich etwas erschwert, da ich eher wenig Norwegisch konnte; es reichte gerade aus, um sich zur Not zu verständigen. In den ersten Wochen verließ ich mich also darauf, daß fast die ganze Welt Englisch spricht und daß bei den norwegischen Juden die Deutschkenntnisse sehr verbreitet sind – zum einen, da Norwegisch und Deutsch einander recht ähnlich sind, und zum anderen natürlich deswegen, weil viele der Juden zumindest etwas Jiddisch können, das wiederum aber ist ein altes Deutsch mit zahlreichen hebräischen und slawischen Lehnwörtern. Mit der Zeit habe ich die neue Sprache jedoch so weit gelernt, daß mir ein Alltagsgespräch auf Norwegisch keine sonderlichen Schwierigkeiten mehr bereitet (lieber weiß ich freilich nicht, wie viele Fehler ich noch mache). Mit zumindest etwas gutem Willen läßt sich jede sprachliche Hürde überwinden. Jüdische Feiertage – strenge Vorschriften Die Institution, wo ich jetzt schon den fünften Monat diene, ist das vor dreizehn Jahren gegründete jüdische Altenheim. Der Hauptgedanke bei der Gründung des Heimes war, den Juden auch auf die alten Tage ein Leben nach den religiösen Geboten zu ermöglichen. Grundsätzlich gilt für jede religiöse Gemeinschaft, daß man in Gemeinschaft leichter nach den religiösen Geboten leben kann, noch besonders aber gilt dies für Juden. In diesem Zusammenhang sei lediglich der koschere Haushalt erwähnt. Damit ein Haushalt als koscher gelten kann, muß eine Reihe von Regeln beachtet werden, in ihrem Mittelpunkt steht das strenge Verbot, Milch- und Fleischspeisen zu mischen. Dies bedeutet, daß man getrenntes Service, getrenntes Besteck, getrenntes Küchengeschirr haben muß, kurzum, die gesamte Küchenausstattung muß doppelt und voneinander getrennt sein – ein Teil für Milchspeisen wie zum Beispiel Käsnudeln, und einer für Fleischspeisen wie zum Beispiel Schnitzel. Wenn man noch die Tatsache berücksichtigt, daß eine religiöse Familie zum jüdischen Osterfest – Pesach – die gesamte Küchenausstattung auswechselt und für das acht Tage dauernde Fest lediglich besonderes Geschirr verwendet, dann wird deutlich, daß schon allein damit viel Arbeit ist. Außerdem soll das Vieh nach einem besonderen Ritus geschlachtet werden, und der Genuß bestimmter Tiere – wie beispielsweise Schwein, aber auch Krebse oder Aale – ist überhaupt verboten. Also einige Gebote, die man in Gemeinschaft viel leichter befolgen kann. No, auch im Heim, zumindest in den gemeinsamen Speiseräumen, hält man sich streng daran. Anfangs war dies für mich etwas ungewohnt, und wenn ich beim Mittagessen servieren half oder sonstwie etwas im Küchenbereich zu erledigen hatte, mußte ich sehr aufmerksam sein, um die Ordnung nicht zu stören. Mittlerweile habe ich mich natürlich schon daran gewöhnt, und manchmal erwische ich mich sogar, daß ich versehentlich schon bei mir zu Hause das Geschirr zu trennen versuche. Wo ich schon die Essensvorschriften erwähnt habe, möchte ich hier noch anführen, daß sich zu Ostern die Vorbereitungen auf Pesach miterleben konnte. Bei diesem Feiertag erinnern sich die Juden an die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten, und in Erinnerung an die Eile bei der Flucht, als sie nicht einmal die Säuerung des Brotes abwarten konnten, essen religiöse Juden zu den Feiertagen eine Woche lang nur ungesäuertes Brot – die sogenannte Mazot (oder, jiddisch, Matze). Außerdem genießen sie keine anderen Lebensmittel, die Gesäuertes beinhalten, darunter gehört zum Beispiel auch Bier. Ein Teil der Vorbereitung ist die gründliche Reinigung all dessen, was sich im Haus befindet. Es muß alles Gesäuerte entfernt werden. Daß so eine Art von Osterputz außerordentlich viel Arbeit bedeutet, brauche ich vermutlich nicht besonders zu erwähnen. Ich selber bin dabei noch glimpflich davongekommen, obwohl ich zum Waschen der Decke eingeteilt wurde. Als gewissenhafter Zivildiener habe ich die Aufgabe selbstverständlich vollführt, die Verwunderung war jedoch groß, als ich feststellte, daß das Waschen von Decken nichts exklusiv Jüdisches ist, sondern daß dies allgemein bei allen Norwegern verbreitet ist, noch besonders bei der älteren Generation. Wenn man reist, lernt man ständig neue Sachen kennen! Und dem Rabbiner habe ich noch geholfen, nach einem besonderen Ritus all jenes Alltagsgeschirr vorzubereiten, das auch für Pesach verwendet werden sollte. Wenn in Erinnerungen die grauenhafte Vergangenheit wieder auflebt Vorbereitungen auf ein jüdisches Fest, Essensvorschriften und noch vieles mehr, ist für mich als Christen interessant, und das Kennenlernen dessen ist sehr lehrreich. Die Hauptaufgabe meines Zivildienstes ist jedoch eine andere. Den größten und wichtigsten Teil meiner Arbeit könnte ich als Hilfe für Menschen beschreiben, und im wesentlichen unterscheidet sich diese Arbeit nicht von üblichen Zivildienstaufgaben. Wichtig ist bei der Arbeit der sogenannte soziale Aspekt, und das eigentlich im weitesten Sinn des Wortes. So widme ich viel Zeit dem Besuch der Alten in ihren Zimmern. Sich Zeit zu nehmen, zuzuhören, versuchen, Hoffnung zu geben, klingt vielleicht bescheiden. Zuweilen kann es jedoch auch schwierig, manchmal auch belastend werden, insbesondere deswegen, weil die Lebensgeschichten vieler sehr brutal sind. Ein großer Teil der Heimbewohner war in Konzentrationslagern, und alle habe in der Kriegszeit Verwandte, Freunde oder Bekannte, oft auch die Nächsten, verloren. Im Alter kehren diese Erinnerungen wider, sie verfolgen die Menschen und rauben ihnen den Schlaf. Obwohl mir nicht zuletzt aus der Studienzeit die Verbrechen des Holocaust gut bekannt sind, verschlagen die Erzählungen auch mir den Atem, und in solchen Momenten ist es schwierig, das richtige Wort zu finden. Außer Zimmerbesuchen ist mir noch eine Reihe von anderen wichtigen Aufgaben zugeteilt. Unter anderem helfe ich den Menschen bei verschiedenen Besorgungen, zum Beispiel beim Einkaufen oder bei der Erledigung von Bankgeschäften. Eine der Aufgabe ist auch, mit ihnen spazieren zu gehen und sie aufzufordern, die eigenen vier Wände zu verlassen und auf die frische Luft hinaus zu gehen. Dies ist wahrscheinlich die angenehmste Beschäftigung, weniger angenehm ist es schon, wenn ich jemanden zum Arzt oder ins Krankenhaus begleiten muß. Angesichts dessen, daß sich das Durchschnittsalter der Heimbewohner bei weit über achtzig Jahren bewegt, kommt dies natürlich nicht so selten vor, und als etwas mehr oder weniger Alltägliches muß man auch den Tod akzeptieren. Für einen jungen Menschen freilich eine verhältnismäßig neue Erfahrung, auf alle Fälle jedoch eine wichtige Lebensschule. An Herausforderungen mangelt es bei dieser Arbeit nicht, manchmal schleicht sich ein etwas bitteres Gefühl dazu, und meistens komme ich ziemlich erschöpft von der Arbeit nach Hause. Die Dankbarkeit eines Menschen, wenn ich ihm Zeit gewidmet und irgendwie geholfen habe, gibt jedoch alles zurück. Mehr und mehr kann ich so auch feststellen, wie wichtig es ist, daß sich gerade wir jungen Menschen Zeit für die alten nehmen. Sie brauchen unsere Hilfe, wir Junge können andererseits sehr viel von ihnen lernen. Auch in der schnellebigen und hochtechnologisierten Zeit kann man Lebenserfahrungen nicht mit anderen Dingen ersetzen. Wieso Zivildienst im Ausland? Beim Lesen dieser Zeilen hat sich vermutlich wer die Frage gestellt, wie es denn kommt, daß ich meinen Zivildienst außerhalb Österreichs versehe und was die Gründe dafür sind. Schon vor mehr als vier Jahrzehnten wurde in der deutschen evangelischen Kirche die Idee geboren, die im Zweiten Weltkrieg verbrochenen Untaten irgendwie wiedergutzumachen. Aus diesem ursprünglichen Gedanken entstand ein großes Projekt mit dem Klingenden Namen „Aktion Sühnezeichen.„ So begannen deutsche Freiwillige mit Personengruppen zu arbeiten, die in der Kriegszeit am stärksten verfolgt wurden – Behinderte, verschiedene Randgruppen und natürlich Juden. Daraus entwickelte sich eine Art alternativer Zivildienst. In Österreich wurde ein ähnlicher Dienst rechtlich 1992 ermöglicht. Zuvor mußte jedoch ein gutes Jahrzehnt Beharrlichkeit und Unnachgiebigkeit von Seiten des Innsbrucker Politologen Andreas Maislinger vergehen, der in den zuständigen Kreisen versuchte, das Bewußtsein Österreichs für die Mitschuld am Zeiten Weltkrieg zu wecken. Erst nach langen Bemühungen wurde es ermöglicht, daß österreichische Staatsbürger nach deutschem Vorbild ihren Zivildienst an Holocaustgedenkstätten oder in jüdischen Altenheimen versehen können. Diese österreichische Variante erhielt den Namen „Gedenkdienst.„ Der Name selber bezeichnet schon, was der Hauptgedanke ist – die Erinnerung an die verbrochenen Taten wachzuhalten und zugleich dafür sorgen, daß sich ähnliches nicht mehr wiederholt. Die Idee entwickelte sich weiter, und außer dem Gedenkdienst entstanden noch der Sozial- und der Friedensdienst. Im Vordergrund des Sozialdienstes steht die Hilfe für materiell oder körperlich Schwache – so beispielsweise das Projekt mit Straßenkindern in Buenos Aires -, der Friedensdienst soll zur friedlichen Konfliktlösung zwischen Völkern beitragen – so zum Beispiel zwischen Juden und Palästinensern in Israel. Der Gedenkdienst befaßt sich nach wie vor mit der Geschichte des Holocaust und der Hilfe für die Überlebenden. Das Arbeitsgebiet erstreckt sich praktisch über die ganze Welt. Der Weg zur besonderen Zivildienstform Wie gestaltet sich also der Weg zu all dem? Die größte Dachorganisation für diese Form des Zivildienstes ist der „Verein für Dienste im Ausland„, der seine Vertretungen in allen Landeshauptstädten hat. Der Verein veranstaltet vierteljährlich in einer der Landeshauptstädte – im September immer im oberösterreichischen Braunau – Vorbereitungsseminare. Bei diesen Seminaren kann man sich näher mit der Arbeit und den verschiedenen Partnerorganisationen, wo man dienen kann, vertraut machen, und bei diesen Seminaren werden auch die Kandidaten für den Auslandsdienst ausgesucht. Nach zumindest drei Seminaren kann, sofern sich der Interessent für eine Stelle entschieden, sich gut vorbereitet und im Verein mitgearbeitet hat, der Weg zum Auslandsdienst offen sein. Die Partnerorganisationen sind über alle Kontinente verstreut, hier seien das Simon Wiesenthal Center in Los Angeles und das jüdische Altenheim in Prag erwähnt, in Moskau befindet sich ein Projekt mit Straßenkindern, und ich selber diene im jüdischen Altenheim in Oslo. Es gibt abwechslungsreiche Möglichkeiten, und wer sich interessiert, findet nähere Informationen auf der Homepage des Vereins:www.gedenkdienst.org, www.auslandsdienst.at. Man kann mir auch einen elektronischen Brief schreiben: darkowakounig@yahoo.com. Es würde mich sehr freuen, wenn unter unseren Jugendlichen möglichst viel Interesse für diese attraktive und interessante Form des Zivildienstes entstünde!

Project Details

  • Date 5. July 2016
  • Tags Pressearchiv 2001

Leave a reply

Your email address will not be published.

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.

Back to Top