Wer zieht ein im „Hitler-Haus“?, Passauer Neue Presse

14.10.2009

Project Description

Wer zieht ein im „Hitler-Haus“?
Die Mieter in Hitlers Geburtshaus wollen nach über 30 Jahren ausziehen. Jetzt diskutiert Braunau darüber, ob das Gebäude in eine Begegnungsstätte mit Ausstellung zur NS-Vergangenheit umgewandelt werden soll. Von Laurent Martinez Im Eckhaus „Salzburger Vorstadt 15“ wird Holzspielzeug verkauft. Außerdem handbemalte Seidentücher, kleine Bildchen, Taschen und Tongefäße. Die Waren stammen aus der Werkstatt des Vereins „Lebenshilfe“, der das Erdgeschoss und die 1. Etage des alten Braunauer Stadthauses angemietet hat. 13 geistig Behinderte kommen jeden Tag zum Arbeiten hierher. Das Haus selbst erzählt nichts über seine beklemmende Vergangenheit, oder besser: das eine Ereignis in seiner Geschichte. Ein Mahnstein in der Nähe des Hauses lässt aufmerken, aber auch er verrät nicht: In diesem Haus ist vor 120 Jahren, am 20. April 1889, Adolf Hitler zur Welt gekommen. Seitdem hat das kleine österreichische Städtchen, nur durch den Inn von Deutschland getrennt, mit seinem „unerwünschten Erbe“ zu kämpfen. Bürgermeister: Staat soll das Haus kaufen Das Haus war alles mögliche. Wirtshaus, Galerie, Bank, Schule, Behindertenwerkstatt – nur eines nicht: Eine Stätte, die sich als Geburtsort des schlimmsten Diktators unserer Tage zu erkennen gegeben hätte. Das könnte sich bald ändern, denn die „Lebenshilfe“ will in modernere Räume ausweichen. Wer also zieht nun ein im „Hitler-Haus“? Bürgermeister Gerhard Skiba von der SPÖ hat in einem Gespräch mit dem österreichischen Autor und Journalisten Georg Markus für den „Kurier“ die Diskussion eröffnet. Er wünscht sich, dass sich Braunau „seiner Geschichte stellt und die Gräuel der Nazis in diesem Haus aufgezeigt werden“. Was er ausdrücklich nicht will: ein Museum. Es soll einen anderen Namen bekommen, „weil die Gefahr besteht, dass das Haus dann in aller Welt als Hitler-Museum bezeichnet wird“, warnt Skiba. Ihm schwebt ein „Haus des Friedens“ oder ein „Haus der Verantwortung“ vor. Neben Ausstellungen und einer Dokumentation der NS-Vergangenheit könnten dort auch soziale Projekte verwirklicht werden. Zunächst will er jedoch „über alle Ideen diskutieren“. Außerdem muss das Haus überhaupt erst vom Staat gekauft werden, doch hier ist bisher noch nichts entschieden, erklärt Skiba der PNP. Das Haus befindet sich im Privatbesitz von Gerlinde Pommer, und die hat dem Verkauf bisher nicht zugestimmt. Andreas Maislinger und Florian Kotanko sind sehr angetan von der Initiative des Bürgermeisters. Die beiden bemühen sich mit den „Braunauer Zeitgeschichte-Tagen“ seit Jahren um den bewussten Umgang mit Geschichte. Auch Kotanko, Braunauer Gymnasialdirektor und Historiker, und der Innsbrucker Politikwissenschaftler Maislinger wollen über eine reine Dokumentation der Vergangenheit hinausgehen. Kotanko schlägt eine Dreiteilung des 500 Quadratmeter großen Hauses vor: Im Erdgeschoss des Gebäudes könne die Zeit Hitlers thematisiert werden – die Vergangenheit – im ersten Stockwerk könnten soziale Projekte angesiedelt werden – die Gegenwart – und im zweiten Stock könnte im Rahmen von grenzüberschreitenden Veranstaltungen über eine friedlichere Zukunft diskutiert werden, erläutert Kotanko gegenüber der PNP. Die Grundlage für dieses Konzept stammt von Andreas Maislinger. Er engagiert sich seit Jahren dafür, ein solches „Haus der Verantwortung“ einzurichten – wenn möglich in Hitlers Geburtshaus. Für den Bereich Dokumentation schlägt er eine Ausstellung über das Wirken der US-Militärverwaltung nach dem Krieg vor (die PNP berichtete). Bei diesem Projekt arbeitet er mit der heute in den USA lebenden Passauerin Anna Rosmus zusammen, die sich seit Jahren mit der NS-Vergangenheit der Region beschäftigt – zeitweise gegen große Widerstände. Und noch eine zusätzliche Nutzungsmöglichkeit fällt Maislinger ein: 1992 gründete der Politikwissenschaftler den “Österreichischen Auslandsdienst” – eine Organisation, die Zivildienstleistende in Projekte für Gedenkdienst.

Project Details

  • Date 14. June 2016
  • Tags Pressearchiv 2009

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