Zivildienst als NS-Bewältigung, Der Standard, 25.07.1992

25.07.1992

Projekt Beschreibung

Zivildienst als NS-Bewältigung

Viel Lob für Pilotprojekt in Auschwitz – aber niemand will „Gedenkdienst“ zahlen

Eva Linsinger

Innsbruck – Das Bundesheer sei für ihn nie in Frage gekommen. In welcher Form er den Zivildienst ableisten wolle, habe er aber auch nicht so recht gewusst. Bis er von der Initiative „Zivildienst als Gedenkdienst“ hörte. Georg Mayer aus Wörgl wird im September als erster Österreicher seinen einjährigen Zivildienst in Auschwitz antreten.

Er will nicht nur als 26jähriger Tiroler, sondern vor allem als Österreicher dort arbeiten: „Viel zu viele Österreicher sehen sich noch immer als Opfer des Nationalsozialismus, nicht als Schuldige. Der Bundeskanzler hat zwar die Täterrolle Österreichs im Vorjahr anerkannt, aber das ist noch zu wenig. Ich bin frustriert, wie es derzeit in Österreich zugeht, wieviel faschistisches Denken da ist.“

Hitler-Medlungen

So richtig bewusst sei ihm das im Vorjahr geworden, als er sein Probejahr als Geschichtslehrer im Kufsteiner Gymnasium machte: „Die Kinder haben so viele Hitler-Meldungen vom Stammtisch reproduziert. Ich sehe Kinder als das Spiegelbild für das allgemeine Meinungsklima und war über den Verbreitungsgrad nationalsozialistischen Gedankengutes erschrocken.“ Seinen Gedenkdienst sieht er als bescheidene Möglichkeit, dagegen anzuwirken.

Was er in Auschwitz genau tun wird, weiss er noch nicht. Er möchte möglichst überall mitarbeiten, vom Museumsarchiv bis zu handwerklichen Tätigkeiten. Besonders wichtig ist Georg Mayer, die Verbindung nach Österreich nicht zu verlieren. Er will etwa Gedenkreisen nach Auschwitz organisieren.

Problem Finanzierung

Ob nach Georg Mayer noch andere Österreicher in Holocaust-Gedenkstätten arbeiten werden, ist noch ungewiss. Was den Innsbrucker Politologen Andreas Maislinger, den Initiator der Gedenkdienst-Idee, sehr ärgert: „Ich erhalte von allen Seiten viel Lob und Zustimmung für das Projekt, aber kein Geld. Bis jetzt habe ich noch von keinem Politiker, von keinem Ministerium einen Groschen bekommen.“ Den Gedenkdienst für Georg Mayer wird er selber finanzieren, die Hochschülerschaft der TU Graz hat eine Ausfallshaftung in Höhe von 70.000 Schilling übernommen und will zusätzlich 10.000 Schilling spenden.

Diese private Finanzierung könne aber nur für diesen einen Einzelfall die Lösung sein, meint Maislinger: „Soviel Geld hab ich auch wieder nicht. Der Bund soll den Gedenkdienst zu einer öffentlichen Institution machen und bezahlen, 100.000 Schilling pro Zivildiener wären genug. Das ist doch nur ein Klacks – verglichen mit der Symbolwirkung, wenn Österreicher in ehemaligen Konzentrationslagern arbeiten.“ Der Politologe fordert nicht nur Geld vom Bundeskanzleramt und vom Aussen- und Innen-, sondern auch vom Frauenministerium. „Es wäre doch schön, wenn auch Frauen und Mädchen den Gedenkdienst ableisten könnten.“

Projekt Details

  • Datum 14. August 2016
  • Tags Pressearchiv 1992

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