Unterrichtssprache, Jüdische Rundschau, 08.12.1994

08.12.1994

Projekt Beschreibung

Unterrichtssprache

von Andreas Maislinger

Das ist kein Kommentar über den Sprachunterricht an unseren Schulen. Es ist eine Stellungnahme zum Umgang meines Landes, der Republik Österreich, mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Das Wort „Unterrichtssprache“ bringt meiner Meinung nach die Strategie des Abschiebens der Schuld auf „die Deutschen“ anschaulich zum Ausdruck. Die österreichischen Lehrer mußten nämlich einige Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus im Unterrichtsgegenstand „Deutsch“ den Schülern die Regeln der „Unterrichtssprache“ beibringen. So hieß dieses Fach damals. In diese Zeit fällt auch die Erarbeitung des „Österreichischen Wörterbuches“. Wenn möglich, sollte das Wort „Deutsch“ vermieden werden. Natürlich haben aber die Lehrer weiter die Regeln der deutschen und nicht einer fiktiven „Unterrichtssprache“ vermittelt. Nach wenigen Jahren hat das Unterrichtsministerium die Absurdität und Lächerlichkeit dieser Sprachregelung eingesehen und das Fach wieder Deutsch genannt. Meinem Volksschulzeugnis entnehme ich, daß es bis 1963 als Übergang noch die Bezeichnung „Deutsche Unterrichtssprache“ gab.

Sie können zu recht einwenden, daß dieser Versuch Österreichs, sich sogar durch die Bezeichnung der eigenen Sprache von Deutschland abzusetzen, lange zurück liegt und aus heutiger Sicht lächerlich erscheint. Schon damals haben sich nicht wenige über diese Maßnahme lustig gemacht und die vermeintlich eigene Landessprache „Hurdistanisch“ genannt, da der verantwortliche Unterrichtsminister Felix Hurdes hieß. Auch wenn heute in Österreich wieder Deutsch unterrichtet wird, ein klares und eindeutiges Bekenntnis zur starken Beteiligung von Österreichern an den Verbrechen des Nationalsozialismus fehlt noch immer. Jeder einzelne kleine Schritt wird nicht nur lange überlegt, er erfolgt auch meist nur zaghaft und ist nicht selten nicht nach vorne, sondern auf die Seite oder sogar nach rückwärts gerichtet. Dazu zwei Beispiele:

Es ist in den letzten Jahren Benehmensregel geworden, sich für Verbrechen zu entschuldigen. Zuletzt hat sich sogar der japanische Ministerpräsident bei den koreanischen Frauen entschuldigt, die während des Zweiten Weltkrieges mißbraucht worden sind. Da es also international üblich ist, muß sich wohl oder übel auch unser Bundespräsident bei seinem Besuch in den Niederlanden daran halten. Die Medien konnten also vor einem Jahr berichten, daß sich Bundespräsident Thomas Klestil in den Niederlanden für die Beteiligung von Österreichern an den NS-Verbrechen entschuldigt habe. Am selben Tag ließ er jedoch über die Austria-Presse-Agentur seinen Landsleuten mitteilen, daß er sich gar nicht entschuldigt hätte. Mit einem Hinweis auf die Unmöglichkeit, sich selber zu ent-schuldigen, hat er den Österreichern klar zu machen versucht, „es war nicht so gemeint“. In den Niederlanden sollte die Entschuldigung jedoch weiter als solche verstanden werden. Jeder bekam das, was er erwartete. In Israel hat sich Klestil kürzlich ähnlich verhalten. Marta S. Halpert hat in der letzten Ausgabe zurecht vom „bitteren Nachgeschmack“ dieses „Wiener Schmähs“ geschrieben. Der aus Wien stammende israelische Historiker Walter Grab hat es einmal treffend „herausmogeln“ genannt.

Dieser Kommentar versteht sich als Aufforderung, den Repräsentanten der Republik Österreich genau zuzuhören. Die beiden bevorstehenden Gedenkjahre „50 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges“ und „1000 Jahre Österreich“ werden eine Fülle verlockender Möglichkeiten bieten, sich doch aus der Mitverantwortung für die NS-Verbrechen herauszustehlen.

Das zweite Beispiel betrifft das in dieser Kolumne bereits einmal erwähnte Geburtshaus von Adolf Hitler in Braunau am Inn. Im Zuge der Vorbereitungen für die 1. Braunauer Zeitgeschichte-Tage entstand Anfang 1992 die Idee, in diesem Haus die Beteiligung von Österreichern am Nationalsozialismus zu dokumentieren. In bewußtem Gegensatz zur Intention des in den 60er Jahren in Wien errichteten Dokumentationsarchives des Österreichischen Widerstandes (DÖW) sollte gerade an dieser Stelle die andere Einschätzung der Jahre 1938 bis 1945 aufgezeigt werden. Der Bürgermeister von Braunau am Inn, Gerhard Skiba, hat Anfang August die Absicht, die geplante Ausstellung eindeutig auszurichten, gegenüber der Süddeutschen Zeitung bekräftigt. Zu dieser klaren Stellungnahme wird es jedoch im Geburtshaus Hitlers nicht kommen, denn der wissenschaftliche Leiter des DÖW ist dagegen. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung hat er festgestellt, daß dieses Konzept falsch ist und „alle Aspekte des Faschismus präsentiert werden müssen, nicht nur Selbstanklagen.“ Da der wissenschaftliche Leiter des DÖW vom Innenminister in die zuständige Kommission berufen wird und er dort ein, wenn nicht das maßgebende Wort zu sagen haben wird, ist das Ergebnis bereits vorgezeichnet.

Unterrichtsminister Felix Hurdes war bis zu seinem Tod 1974 Ehrenpräsident des Dokumentationsarchives des Österreichischen Widerstandes. Dr. Andreas Maislinger, freier Publizist, Leiter des Projektes Gedenkdienst und der Braunauer Zeitgeschichte-Tage

Projekt Details

  • Datum 24. August 2016
  • Tags Pressearchiv 1994

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