Salzburger Nachrichten – 13. März 2002 / „Nicht Zeit zum Vergessen“

13.03.2002

Projekt Beschreibung

„Nicht Zeit zum Vergessen“ Salzburger Zivildiener in Kultusgemeinde Prag FLORIAN STADTTHALER WIEN (SN). Wenn Georg Jocham sagt: „Es gibt noch immer Leute, die vom Holocaust betroffen sind“, dann weiß er, wovon er spricht: Der Salzburger Zivildiener absolviert gerade seinen Auslandsdienst in der Jüdischen Gemeinde in Prag und hat täglich Kontakt mit Juden, die den Holocaust überlebt haben. Seine Aufgabe ist es, die über 85-jährigen Angehörigen der jüdischen Gemeinde in Prag zu betreuen. Er tut alles, um den Überlebenden ihr tägliches Leben zu erleichtern. Er geht für sie einkaufen, hilft ihnen bei der Hausarbeit oder unternimmt etwas mit den Senioren in ihrer Freizeit. Zahlreiche seiner Klienten mussten vor dem Hitler-Regime flüchten, viele haben Angehörige verloren, drei überlebten Auschwitz. „Allen Leuten, die ich hier betreue, ist es während des Holocaust schrecklich ergangen“, sagt Jocham. Auf ihre Erlebnisse in den Vernichtungsfabriken der Nazis spricht er sie zwar nicht an. Aber: „Manchmal beginnen die ehemaligen KZ-Häftlinge, selbst von ihrer Vergangenheit zu erzählen. Dann dauert es nicht lange und sie fangen an zu weinen.“ Österreich, betont der Zivildiener, „soll sich nicht immer als Opfer des Nationalsozialismus fühlen, sondern ein Bewusstsein für die wahren Opfer entwickeln. Es geht hier nicht um Schuld.“ Die Initiative zur Zwangsarbeiterentschädigung sei ein „guter Schritt“. Die Thesen, die der Philosoph Rudolf Burger in seinem „Plädoyer für das Vergessen“ formulierte, lösten bei Jocham Unverständnis aus. Die Behauptung, es wäre nach 50 Jahren nicht mehr glaubwürdig und angebracht, ständig die Erinnerung an den Holocaust aufrecht zu erhalten, werde schon durch seine alltäglichen Erfahrungen im Umgang mit den Opfern widerlegt, so Jocham.

Projekt Details

  • Datum 16. Juni 2016
  • Tags Pressearchiv 2002

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