Projekt mit Vergangenheit und Zukunft, Salzburger Nachrichten

09.06.1995

Projekt Beschreibung

Salzburger Nachrichten 9. Juni 1995

Projekt mit Vergangenheit und Zukunft

Österreichs Gedenkdiener haben nun endlich Hoffnung auf gesicherte Finanzierung

Von Helmut Schliesselberger, SN-Redaktion Wien

Festung Theresienstadt, Massenzelle 42. „Deutschland den Deutschen wir kriegen euch alle“ – stand da im Mai 1993 mit krakeliger Schrift plötzlich in das Besucherbuch der Gemäldeausstellung „Theresienstadt“ gekritzelt – mitten unter Hunderte positive Kommentare, die die Bedeutung von Bildern, die gegen das Vergessen kämpfen, hervorhoben. Entstanden waren die Bilder – 14 Wiener Kunststudenten lebten und malten für eine Woche im ehemaligen KZ Theresienstadt auf Initiative des damaligen Gedenkdieners in Theresienstadt, Bernhard Schneider. Nur eines von vielen Projekten, die der junge Österreicher in seinem Gedenkdienstjahr im ehemaligen KZ, dessen drei SS-Kommandanten alle aus Österreich gekommen waren, anregte und durchführte. Das Gedenkdienstjahr Schneiders ist schon lange vorbei, doch er ist nach wie vor im „Projekt Gedenkdienst“ engagiert: „Gedenkdienst fordert die ganze Persönlichkeit. Man kann sich, wenn man es seriös betreibt, auch nach dem Jahr an der Holocaust-Gedenkstätte nicht abwenden. Aus der jüngeren Geschichte weist so vieles ins Heute.“ Seit der Zivildienstgesetznovelle 1991 besteht die Möglichkeit, Zivildienst auch in Form eines Auslandsdienstes, der der internationalen Verständigung dient, abzuleisten. Der Innsbrucker Politologe Andreas Maislinger hatte zuvor über zehn Jahre für diese Zivildienstvariante gekämpft. In Yad Vashem, dem Museum Auschwitz-Birkenau, Theresienstadt, dem Anne-Frank-Haus, in Holocaust- Memorial-Zentren in Washington und Montreal sind seit 1992 17 junge Österreicher angetreten, um mit ihrer Arbeit für die österreichische Mitverantwortung an den Nazi-Verbrechen einzustehen. Maislingers „Gedenkdienst“ im Jahr 1980 in Auschwitz war noch nicht als Alternative zu Zivil- oder Präsenzdienst anerkannt worden. Maislinger war damals mit seinem Projekt bis zu höchsten politischen Stellen gegangen. Präsident Kirchschläger habe ihm beschieden, ein Österreicher habe dort nichts zu sühnen. Erst vor wenigen Wochen räumte der Altbundespräsident in einem Brief an Maislinger ein, daß das Projekt „fruchtbringender und wohl auch heilbringender geworden ist, als ich mir seinerzeit vorgestellt habe“. Der Klubobmann der Tiroler Grünen, Georg Willi, betonte letzte Woche, der Gedenkdienst sei im Gedenkjahr 95 „das einzige von österreichischer Seite vorzeigbare Projekt zur Aufarbeitung der Vergangenheit“. Trotz allen Zuspruchs war das Projekt in den letzten Monaten immer mehr in eine Finanzkrise geraten. „Wir sind in dem Dilemma, daß das Projekt immer besser läuft, die finanzielle Lage aber immer schwieriger wird“, erklärte Maislinger den SN. Über 500 junge Österreicher haben sich für den Gedenkdienst interessiert. Maislinger legt Wert auf gründliche Auswahl und Vorbereitung. Er war auch dafür, die „Dienstzeit“ auf 14 Monate zu verlängern. Vor zwei Wochen veranstaltete der Verein Gedenkdienst in Salzburg das Symposium „Flucht nach Shanghai“ mit Zeitzeugen aus aller Welt. Vor Ostern gibt es jedes Jahr ein einwöchiges Seminar in Auschwitz. Vom 7. bis 21. Juli wird der Verein Gedenkdienst ein Holocaust-Seminar in Yad Vashem mitveranstalten. Die Organisation der Seminare, Vorbereitung und Auswahl der Gedenkdiener, Vortragsreihen und Schulprojekte, das alles ist für Maislinger zum unbezahlten Full-time-Job geworden. Für die Auslandseinsätze konnte beim Innenministerium um Förderung angesucht werden. Das Ministerium zahlte je 100.000 S pro Jahr. Für eine Abgeltung der Organisation habe es immer wieder nur Versprechungen gegeben. Auch für die derzeit arbeitenden Gedenkdiener war nun im Mai nach dem Ausbleiben weiterer Förderungen aus dem Innenministerium die finanzielle Luft sehr knapp geworden. Das Ministerium habe nun aber doch weitere Förderungen im Juli zugesagt, wenn man noch einmal Anträge stelle, erklärte Daniel Werner, Kassier des Vereins. Werner hat in Auschwitz Gedenkdienst geleistet. „Das Ganze ist bis jetzt auf der Ebene der Förderungsmittel gelaufen“, erklärt Wolf Szymanski vom Innenministerium am Donnerstag den SN, „in Zeiten gekürzter Förderungsansätze tu ma uns natürlich schwer.“ Die Sache sei aber zu wichtig, und so sei in der eben vorgeschlagenen Änderung des Zivildienstgesetzes eine Regelung innerhalb des Zivildienstbudgets enthalten. Der Entwurf besage, daß der Bund Gedenkdiener mit demselben Betrag zu unterstützen habe, den ein Zivildiener koste. Das seien rund 10.000 S im Monat. Eine gesonderte Abgeltung der Organisationstätigkeit sei nicht vorgesehen, betont Szymanski, diese sei auch aus den für die Gedenkdiener zur Verfügung gestellten Mitteln zu finanzieren. Ab 1. 1. 1996 soll der gesetzliche Anspruch Gesetz sein, freilich nur, wenn sich die Parteien auf den Entwurf in der vorgeschlagenen Form einigen. Beim Verein Gedenkdienst bleibt man vorsichtig: „Wir haben schon so viel erlebt an fixen Zusagen, die dann einfach nicht gehalten wurden.“ Dabei haben die Gedenkdienst-Organisatoren so viel vor. Man will in den Ländern des ehemaligen Ostblocks verstärkt Zeichen setzen: Im Holocaust- Zentrum in Budapest, bei den Jüdischen Gemeinden von Wilna und Riga, beim Zentralrat der Juden in der Ukraine. Auch in Österreich soll es bald eine Art Gedenkdienst geben. Man will Zivildiener vorbereiten für Einsätze in Mauthausen, im Jüdischen Museum der Stadt Wien und im Geburtshaus Hitlers, in dem ein „Dokumentationsarchiv der österreichischen Täterschaft“ geplant ist. Der Gedenkdienst ist übrigens nicht auf Wehr- oder Zivildienstpflichtige beschränkt. Im Vorjahr arbeitete eine Salzburger Studentin in Yad Vashem. Derzeit leistet eine junge Oberösterreicherin Gedenkdienst im Holocaust-Memorial-Center in Montreal.

Projekt Details

  • Datum 23. August 2016
  • Tags Pressearchiv 1995

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