Peepshow des Bösen, NEWS

22.05.2018

Projekt Beschreibung

POLITIK

Peepshow des Bösen

 Dienstag, 22. Mai 2018 von David Pesendorfer
Politik - Peepshow des Bösen
© Bild: GettyImages

In Wien wurde noch die Befreiung vom NS-Regime gefeiert, 300 Kilometer westlich herrscht immer noch Verunsicherung: Was passiert mit dem „Hitler-Haus“ in Braunau? Das Gebäude, in dem der Diktator geboren wurde, steht seit Jahren leer – ein Paradies für Gaffer und wilde Gerüchte.

Kleiner Brauner, großer Brauner – auch wenn die Familie von Marco Baccili in Braunau schon seit Jahrzehnten ein Kaffeehaus samt Eissalon betreibt, haben solche Wortkombinationen für ihn noch immer einen ziemlich speziellen Beigeschmack. Einerseits, sagt der Juniorchef, machen die Leute von auswärts, die verstohlen das Nebenhaus fotografieren und dann noch schnell bei ihm einkehren, einen erklecklichen Teil seiner Laufkundschaft aus. Andererseits wünsche er sich wie fast alle Braunauer, dass nun endlich einmal Gewissheit herrsche. Gewissheit darüber, was mit dem angrenzenden Gebäude tatsächlich passiert. „Eis aus Leidenschaft“, prangt auf der Karte der Baccilis. Doch eigentlich ist es eher die unmittelbare Umgebung, die Leiden schafft: konkret ein zweistöckiges Eckhaus mit Grundfesten aus dem 17. Jahrhundert, blassgelb, die Außenwände mit Nässeflecken überzogen, mit Fensterrahmen, von denen die Farbe abbröckelt – das Haus, an dem am 20. April 1889 die Zollbeamten-Gattin Klara Hitler ihren dritten Sohn, Adolf, zur Welt brachte. Ob die Wiege des Bösen nun im ersten oder zweiten Obergeschoß stand, ist nicht restlos geklärt. Und auch wenn die Hitlers bereits wenige Monate später umzogen – das Haus wurde zum globalen Symbol. Und mit ihm Braunau am Inn. „Unsere Stadt hat noch immer einen Hitler-Komplex“, sagt der VP-Gemeinderat und Vorsitzende des städtischen Kulturausschusses, Zoran Šijaković, ganz unverblümt.

Komplex einer Kommune

Ein Hitler-Komplex? So etwas hört man in Tagen wie diesen eigentlich eher selten. Landauf, landab und fast einhellig wurde erst des „Anschlusses“ Österreichs an das Dritte Reich und dann der Befreiung vom NS-Regime gedacht. Ein Hitler-Komplex also. In Tagen, an denen die Wiener Symphoniker am Heldenplatz zum „Fest der Freude“ aufspielen, an denen fast alle Politiker aller Couleurs Verantwortung für die Vergangenheit und Wachsamkeit für Gegenwart und Zukunft einmahnen, herrscht in Braunau in erster Linie tiefe Verunsicherung. „Man gewinnt den Eindruck, die Gemeinde ist stigmatisiert und wird ins rechte Eck gerückt“, sagt Johannes Waidbacher, der amtierende Bürgermeister. Denn das sogenannte „Hitler-Haus“, es ist ein österreichisches Dauerprovisorium. Bereits vor gut drei Jahrzehnten, als das Gebäude noch in Privatbesitz stand (Geschichte des Hauses, siehe Kasten auf Seite 35) organisierte der damalige SP-Bürgermeister Gerhard Skiba kurzentschlossen einen Felsbrocken aus dem Steinbruch des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen, ließ „Nie wieder Faschismus“ einmeißeln und den Granitblock unmittelbar vor der belasteten Immobilie aufstellen. Zehn Jahre später – es war Anfang 2000, und die Republik stand wegen ihrer schwarz-blauen Wenderegierung im internationalen Kreuzfeuer – unterstützte die führende Lokalzeitung dann das Projekt eines „Hauses der Verantwortung“, erdacht vom Salzburger Politologen Andreas Maislinger: Im Parterre sollte eingehend auf die NS-Gräueltaten und deren Entstehungsgeschichte hingewiesen werden, im ersten Stock sollten junge Menschen aus allen Teilen der Welt an Präventionsvorschlägen für die Gegenwart arbeiten, im zweiten Stock an antifaschistischen Zukunftsprojekten. „Braunau setzt ein Zeichen“ nannte sich die Plattform, die breiteste Unterstützung fand: Vom jüdischen Doppel-Oscarpreisträger Branko Lustig bis zum damaligen Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider sprachen sich Prominente aus allen ideologischen Weltgegenden für das Projekt aus, Tausende Braunauer signalisierten per Unterschrift ihre Zustimmung.
© Ricardo Herrgott8. Mai 2018: Ex-Vizekanzler Mitterlehner spricht auf einer Gedenkfeier in Braunau

Interne Zwistigkeiten

Doch allmählich verhedderten sich die Protagonisten in internen Eifersüchteleien – und Skiba, der anfangs so rührige Ortschef, stolperte über seine Spielsucht. Er wurde verurteilt, weil er Gelder privater Freunde veruntreut hatte, und musste das Gemeindeamt mit dem Gefängnis tauschen. Gemeinderatsbeschlüsse wurden daraufhin gekippt, das Verhältnis zwischen der Hauseigentümerin und dem offiziellen Braunau wurde zusehends frostiger. Zwischenzeitlich war die „Lebenshilfe“ als Mieterin eingezogen – doch als die Vermieterin dringend nötige Adaptierungsarbeiten verweigerte, zog auch der gemeinnützige Verein wieder aus, seit nunmehr sieben Jahren steht das Gebäude leer. Der Nationalrat wollte fragwürdige Immobiliendeals mit dem Geburtshaus ausschließen, beschloss ein Enteignungsgesetz, sprach der bisherigen Besitzerin 310.000 Euro zu – und setzte sie sodann vor die Türe. Das war vor nunmehr zwei Jahren, seither döst die berüchtigte Bruchbude vor sich hin, während draußen in erster Linie die Gerüchte blühen. „Gelber Kasten, braune Lasten“, kalauert mittlerweile sogar der renommierte „Spiegel“. Was tun? Und vor allem: wann endlich? Die Möglichkeit eines Abrisses, wie von Ex-Innenminister Wolfgang Sobotka erwogen, ist noch immer nicht restlos vom Tisch, ein großangelegter Architektenwettbewerb samt Neugestaltung ist auch noch in der Ziehung. Braunaus jüngste Flüsterpropaganda: Die Polizei könnte in die Liegenschaft einziehen. Als wahrscheinlicher gilt jedoch, dass die „Lebenshilfe“ als Mieter zurückkehrt. Das wäre die kleine, lokale und, wie einige meinen, verschämte Lösung. Aber auch die mutigere Variante, das „Haus der Verantwortung“, ist dem Vernehmen nach noch nicht aus dem Rennen. Zeitnah, vielleicht in den nächsten Tagen, wolle man eine praktikable Lösung präsentieren, derzeit würden noch finale Gespräche laufen, verlautet aus dem Innenministerium kryptisch.

Glücklich gebundene Hände

„Da das Haus nun im Eigentum der Republik ist, sind uns die Hände gebunden“, sagt Bürgermeister Waidbacher, und es scheint, als schwinge in seinen Worten sogar ein Hauch von Erleichterung mit. „Da könnten Sie wohl recht haben“, antwortet der Stadtchef auf die Frage, ob denn nicht jede auf kommunaler Ebene getroffene Entscheidung letztendlich eine falsche gewesen wäre. Denn die Grenzgemeinde mit ihren knapp 17.000 Einwohnern ist längst tief gespalten, und ein mehrheitsfähiger Kompromiss wäre kaum mehr möglich. Nur eines möchte Waidbacher noch sagen, das sei ihm wichtig: „Wir sind Geburtsstadt, nicht Täterstadt.“ Doch das sehen eben nicht alle so. Einerseits sind da nämlich Bürger wie der Trafikant Martin Simböck, die sich dringend mehr Mut zur Offensive wünschen. „Ich behaupte ja nicht, dass uns Braunauer von heute Schuld trifft – sehr wohl aber trifft uns wie etwa auch die Bürger von Mauthausen oder Dachau die Verantwortung.“ Das Haus habe nun einmal einen Symbolgehalt, den man nicht wegleugnen könne. „Dem müssen wir uns stellen.“ Auch Ex-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, ein Oberösterreicher, der am 8. Mai zu einer Gedenkstunde für die Opfer von Krieg und Nationalsozialismus nach Braunau kam, mahnte, vor dem „Hitler-Haus“ stehend, die „Pflicht der Erinnerung“ ein: „Ich würde mir hier eine Art Dokumentationsarchiv wünschen, die gesellschaftliche Schuld darf nicht ausgeblendet werden.“

Rechtfertigungsdruck

Andererseits sind da aber auch Bürger wie der Schlossermeister Werner Sonnleitner, die sich eigentlich nichts als Ruhe wünschen. „Sobald ich wem gesagt habe, dass ich aus Braunau komme, wurde ich auf den Hitler angesprochen“, ärgert er sich, lehnt sich in seinem Stuhl im Schanigarten zurück und hebt die Glastasse. In erster Linie, sagt er, seien es die Medien, die da immer wieder völlig sinnlos umrühren – und verteilt mit dem Löffel die Vanille­creme in seinem Eiskaffee. „Wenn mich heute wer fragt, wo ich herkomme, sage ich: ,Aus der Umgebung von Linz.‘“ Damit steht Sonnleitner nicht alleine da, der permanente Rechtfertigungsdruck und die zahlreichen Gaffer belasten. Wie sehr, zeigt Sozialwissenschaftlerin Judith Forster in ihrer Diplomarbeit „Geburtsort: Braunau am Inn“. Ihrer postalischen Umfrage mit immerhin 300 Rückmeldungen zufolge antworten fast 66 Prozent der Bevölkerung auf die Frage „Wie reagieren Sie darauf, wenn Sie auf Hitler angesprochen werden?“ mit: „Ich sage, dass deswegen nicht alle Braunauer Nazis sind.“ Nein, Braunau ist keine Kultstätte für gestiefelte Glatzköpfe. In erster Linie sind es bunt adjustierte Fahrradurlauber, die sich beim Tourismusverband diskret nach dem berüchtigten Objekt erkundigen, es neugierig umkurven, Fotos schießen und nach einem Kaffee in Marco Baccilis Eissalon animiert weiterradeln. „Nur ein Foto für Freunde“, beteuert etwa ein 77-jähriger Biker aus Baden-Württemberg. Braunau, das ist für die meisten Durchreisenden eine Art Peepshow des Bösen, kein Ort unverhohlener Anbetung, sondern eher aufputschenden Grusels. Aufputschend wie der kleine oder große Braune danach. Dieser Artikel ist ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 19(2018) erschienen.

Projekt Details

  • Datum 22. Mai 2018
  • Tags Pressearchiv 2018
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