Grenzen der Versöhnung
Handreichung zur Friedensdekade
Aktion Sühnezeichen Friedensdienste
Berlin September 1995, S. 30-32.
Mit Auschwitz lügen – Die Beteiligung Österreichs am Holocaust
Andreas Maislinger
Am 27. Jänner wird im Museum Auschwitz-Birkenau der 50. Jahrestag der Befreiung des größten nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers begangen. An den Feierlichkeiten wird auch unser Bundespräsident teilnehmen.
Rechtsextremisten in den USA, Frankreich, England und natürlich auch in Deutschland und Österreich behaupten immer wieder und in zunehmendem Maße, daß der Völkermord an den europäischen Juden eine Erfindung ist und daß es keine Gaskammern gegeben hat. Diese Leugnung des Holocaust wird »Auschwitz-Lüge« genannt. An dieser Stelle muß ich es mit einem Hinweis auf das kürzlich in deutscher Übersetzung erschienene Standardwerk der amerikanischen Historikerin Deborah E. Lipstadt »Betrifft: Leugnen des Holocaust« bewenden lassen. Da wir verstärkt auf die »Argumente« dieser Geschichtsleugner aufmerksam machen müssen, wäre die Herausgabe einer billigen Taschenbuchausgabe zu wünschen.
Die Konzentration auf diese Auschwitz-Lüge sollte uns jedoch nicht länger daran hindern, die Tatsache wahrzunehmen, daß Österreich Auschwitz benützt, um seine Geschichtslüge aufrechtzuerhalten. 1978 wurde die von der Österreichischen Lagergemeinschaft Auschwitz gestaltete Ausstellung in einer Baracke des ehemaligen Stammlagers Auschwitz I eröffnet. Neben dem Eingang werden wir sofort durch die zweisprachige Aufschrift »11. März 1938: Österreich erstes Opfer des Nationalsozialismus« darüber aufgeklärt, daß unser Land mit den NS-Verbrechen nichts zu tun hat. Mit dieser vom damaligen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger besuchten Ausstellung stellte sich Österreich in eine Reihe mit den Ländern des »realen Sozialismus«, wie sich die kommunistischen Diktaturen nannten. Es war auch zu verlockend, alles auf die Deutschen schieben zu können. Die bösen Westdeutschen natürlich, denn die DDR durfte auch das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers benützen, um den Besuchern ihr einseitiges Geschichtsbild anzubieten. Die Strategien des Abschiebens der Schuld auf »die Deutschen« im Falle Österreichs und auf »die Kapitalisten« im Falle der DDR wurde selbst von weniger informierten Besuchern sofort durchschaut und abgelehnt. Die DDR ist an dieser und den vielen anderen Lügen zugrunde gegangen. Selbstredend wurde daher die verlogene DDR-Ausstellung abgebaut.
Vor fast zwei Jahrzehnten kam ich zum erstenmal nach Auschwitz. Ohne genau zu wissen, worin die Bedeutung dieses Ortes für mich lag, ahnte ich, daß ich wiederkommen mußte und daß die Beschäftigung mit Auschwitz mein Leben beeinflussen würde. Und so kam es auch. Da es keine österreichische Organisation gab, die mir eine längere Mitarbeit im Museum Auschwitz-Birkenau ermöglichen hätte können, meldete ich mich als Freiwilliger der in Berlin ansässigen Aktion Sühnezeichen. Mit der Begründung, daß der Anteil der NS-Verbrecher aus Österreich besonders hoch war, hatte ich von meinem Land verlangt, daß diese Arbeit als Zivildienst anerkannt wird. Die Antwort von Bundespräsident Rudolf Kirchschläger war eindeutig: »Ein Österreicher hat in Auschwitz nichts zu sühnen.« Als Bestätigung für seine Haltung konnte er die Österreich-Ausstellung im Museum Auschwitz-Birkenau und seine herzliche Aufnahme in der Volksrepublik Polen anführen. Da ich inzwischen von Simon Wiesenthal sein Memorandum über die Beteiligung von Österreichern an Nazi-Verbrechen vom 12. Oktober 1966 erhalten hatte, wußte ich genau, daß unser Bundespräsident von falschen Voraussetzungen ausging. Die Rolle Österreichs im Ost-West-Konflikt ermöglichte Kirchschläger und den anderen Repräsentanten unseres Landes, diese Lüge aufrechtzuerhalten.
Mein Zivildienst im Museum Auschwitz-Birkenau wurde folgerichtig nicht anerkannt. Mehr als ein Jahrzehnt später trat jedoch der Tiroler Georg Mayer am 1. September 1992 mit offizieller Unterstützung der Republik Österreich seinen Zivildienst im Rahmen des Projektes Gedenkdienst im Museum Auschwitz-Birkenau an. Der Untergang der kommunistischen Regime in Mittel- und Osteuropa machte diese Wandlung möglich.
Nachdem Vaclav Havel für sein Volk eigene Verbrechen einbe-kannte und ähnliche Eingeständnisse auch von den Präsidenten Polens, Litauens und der Ukraine zu vernehmen waren, mußte Österreich mitziehen, und Bundeskanzler Franz Vranitzky gab als Nachzügler in Israel zu, daß auch Österreicher am Holocaust beteiligt waren. Damit war auch eine offizielle Grundlage für den Gedenkdienst junger Österreicher in ausländischen Holocaust-Gedenkstätten gegeben. Österreich lebt wie kein anderer Staat mit zwei Wahrheiten. Es gibt jedoch bekanntermaßen nur eine Wahrheit. Wir können daher gespannt sein, wie sich Bundespräsident Thomas Klestil am 27. Jänner verhalten wird. Wird er den Opfermythos fortsetzen und auf die Österreich-Ausstellung hinweisen, oder gerade auch an diesem Ort die Mitschuld Österreichs eingestehen und sich mit dem Gedenkdienstleistenden treffen? Oder wird er einer Entscheidung ausweichen und diplomatisch-neutral bei den anderen Staatsoberhäuptern bleiben? Thomas Klestil will wie kein Bundespräsident zuvor eigenständige Akzente setzen. An diesem 27. Jänner hat er die Möglichkeit, Mut zu beweisen, indem er der Geschichtslüge der Zweiten Republik ein Ende setzt und sich für die Schließung der einseitigen Ausstellung ausspricht.
Übrigens: Mein Name steht in der 3. Auflage des Handbuches des Österreichischen Rechtsextremismus, da ich an einer Veranstaltung der Österreichischen Landsmannschaft teilgenommen habe. Seit meinem mehrmonatigen Aufenthalt im Museum Auschwitz-Birkenau suche ich das Gespräch mit Andersdenkenden. Nur das Gespräch bietet die Möglichkeit, positiv-aufklärend zu beeinflussen. Diese Gespräche empfinden die Herausgeber des eben erwähnten Handbuches als Naheverhältnis zum Rechtsextremismus. Dieselben Herausgeber sind es auch, die die Geschichtslüge, wonach die Österreicher vor allem im Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt waren, aufrecht erhalten. Weiters verhinderten sie, daß mein Vorschlag, im Geburtshaus von Adolf Hitler die Beteiligung von Österreichern am Holocaust zu dokumentieren, verwirklicht wird. In Braunau am Inn wird eine Außenstelle des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes errichtet und damit diese einseitige Auffassung der Geschichte auch auf den Geburtsort Adolf Hitlers ausgedehnt. |