Mussolini-Tourismus boomt
Bis heute lebt die 6500-Einwohner-Ortschaft von dieser dunklen Aura der autoritären Vergangenheit Italiens. Das Mussolini-Haus ist inzwischen ein Museum, in der pompösen Marmorkrypta des Mussolini-Clans, wo auch der Duce liegt, sind die Lilien immer frisch. Das ganze Jahr – mit Höhepunkten zum Duce-Geburts- und Todestag oder dem Jahrestag des „Marsches auf Rom“ – pilgern faschistische Nostalgiker und Duce-Fans nach Predappio. Aber auch immer mehr unideologische Neugierige zieht es hierher, darunter viele Ausländer. Mehr als 70 Jahre nach dem Tod des Diktators boomt der Mussolini-Tourismus wie nie zuvor: 2015 hat sich die Zahl italienischer Touristen vervierfacht, und es kommen zehn Mal mehr ausländische Touristen als früher. Doch immer mehr Einwohner wollen das Image der Ortschaft als ewiggestrige Faschistenstadt loswerden. Der energische Bürgermeister, Giorgio Frassineti, der selbst in Predappio geboren ist, versteht sich als deren Sprachrohr: „Predappio ist nicht der skurrile Ort, in dem nur mit römischem Grüß salutiert wird“, stellt der Linksdemokrat im „Presse“-Gespräch klar. „Ich will Predappio seine Würde zurückgeben.“ Der schweren historischen Last will sich Frassineti aber nicht entledigen. Im Gegenteil: „Wie sollen wir die Vergangenheit vergessen? Mein Büro befindet sich im Raum, in dem Mussolini als Jugendlicher geschlafen hat. Diese Stadt ist ein einziger Erinnerungsort. Das soll so bleiben“, sagt er. Der Bürgermeister arbeitet seit Jahren daran, die Ortschaft zu einem „Reflexionszentrum über das 20. Jahrhundert“ zu machen, in dem „die Geschichte des Faschismus aufgearbeitet wird“. Dazu hat er bereits einiges beigetragen: In der monumentalen „Casa del Fascio“, dem einstigen Hauptquartier der faschistischen Partei, ließ er erfolgreiche Ausstellungen zum Faschismus zeigen. Nun soll dort ein Museum über Faschismus und ein internationales Studienzentrum entstehen. „Hier sollen sich Experten aus der ganzen Welt austauschen. Für uns Italiener ist dieses Museum ganz besonders wichtig: Wir haben immer versucht zu sagen, wir hätten keine Schuld an den Gräueltaten des 20. Jahrhunderts, wir waren unbeteiligt.“ Gerade heute, in „diesen politisch unsicheren Zeiten“, werde zu vieles verklärt und vergessen. Die Initiative ist bereits zum Politikum geworden. Frassineti wird „linke Geschichtsinterpretation“ vorgeworfen. Das ärgert ihn ganz besonders: „Das hat mit links und rechts nichts zu tun. Da geht es um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“, empört er sich. „Aber so ist es in Italien: Wenn man Mussolini antastet, verbrennt man sich.“ Der Bürgermeister ist überzeugt, dass die Nachfrage nach dem Museum groß ist: „Es kommen viele nach Predappio, um mehr über Mussolini und den Faschismus zu erfahren. Schulklassen, Familien kommen her, das sind keine Duce-Nostalgiker.“Verbot der Duce-Devotionalien
Auf Anti-Faschismus-Kult setzt derzeit übrigens Frassinetis Partei: Die Linksdemokraten wollen den Verkauf faschistischer und NS-Devotionalien in Italien verbieten lassen: Das würde den lukrativen Souvenirhandel in Predappio hart treffen. Der Bürgermeister reagiert auf diese Initiative zurückhaltend: „Was ich darüber denke, ist irrelevant“, sagt er. „Sollen sie es verbieten, es trifft hier nur drei Geschäfte.“ Etwas giftig fügt er hinzu: „Wichtig ist, dass sie unser Museumsprojekt finanzieren. Und somit nicht Souvenirhändler die Geschichte des Faschismus erzählen lassen, sondern Historiker.“ZUR PERSON
Giorgio Frassineti, Bürgermeister von Predappio, wurde 1964 im Geburtsort Mussolinis geboren und ist hier aufgewachsen. Der Mathematiker ist Mitglied der Linksdemokraten. Für sein Engagement, die Erinnerung an die Shoah wachzuhalten, erhält er heuer einen Preis aus Österreich: Der Österreichische Auslandsdienst verleiht ihm den Austrian Holocaust Memorial Award.