„Hitler ist in Braunau geboren. Na und?“, Kurier

25.04.2016

Projekt Beschreibung

„Hitler ist in Braunau geboren. Na und?“

Braunau, Adolf Hitlers Geburtsthaus, Salzburger Vo…
Foto: /Johanna HagerHitlers Geburtshaus in Braunau

Die Republik will das Haus enteignen, Wissenschaftler Maislinger eine Chance nutzen.

Ein Ortsname. Einmal ausgesprochen, lässt er rechte Arme hochschnellen, einen Oberlippenbart zwei Finger breit simulieren, für ein Zusammenzucken reicht es allemal. Braunau. Hübsche Kleinstadt am Inn. Mag sein. Braunau ist der Geburtsort Adolf Hitlers. Wer dort freiwillig hinkommt, will es sehen. Das Haus, in dem alles am 20. April 1889 seinen Anfang nahm. Im „Hitler-Haus“, in der Salzburger Vorstadt 15. Es ist in Privatbesitz, steht leer. Nur ein Granitblock aus Mauthausen, ein Mahnstein, bestätigt, vor der gesuchten Immobilie zu stehen. Braunau, Adolf Hitlers Geburtsthaus, Salzburger Vo… Braunau ist Hitler. Ein Stigma, eine Formel, ein Gesetz, unumstößlich, wie ein inoperables Rassemerkmal für fast 17.000 Bewohner. Politikwissenschaftler Andreas Maislinger (61) kämpft dagegen an. Seit Jahren. Damit ist sein Engagement zu erklären, aus dem ungeliebten Haus eine sinnvolle Einrichtung zu machen. Im Juni will der jetzige Mieter (800/4800 € /Monat) – das österreichische Innenministerium – per Enteignungsverfahren in den Besitz des Hauses gelangen. Weltweit wurde berichtet. Und schon war es aufgewärmt. Das Image der Stadt, in der einst die „Wiege des Führers“ stand. Maislinger, selbst nahe Braunau geboren, ist verärgert: „Was wollte man erreichen? Ich verstehe nicht, warum das Innenministerium jetzt damit an die Öffentlichkeit gegangen ist.“ Braunau, Adolf Hitlers Geburtsthaus, Salzburger Vo… KURIER: Braunau, genannt die Hitler-Stadt. Bedrückend ist dieses Image. Warum eigentlich? Andreas Maislinger: Es ist eine große Herausforderung, damit umzugehen. Hitler ist in Braunau geboren. Na und? Ein Kind zu bekommen ist das Schönste, was man sich vorstellen kann. Kinder sind immer unschuldig. Und das Haus kann auch nichts dafür. Der Ort ist stigmatisiert, obwohl alles nur aus einem Zufall entstanden ist. Was wäre gewesen, wenn Hitler in Salzburg, Mozart in Braunau zur Welt gekommen wäre? Welchen Platz findet Braunau in Ihrer geschichtlichen Betrachtung? muss grundsätzlich eine Einteilung treffen: in Opferorte wie Mauthausen, Auschwitz oder Dachau, Täterorte wie der Obersalzberg oder Nürnberg. Braunau lässt sich nirgends einordnen. Und genau darin liegt die Schwierigkeit. Andreas Maislinger, Branko Lustig, Braunau, OÖ…Foto: /Manfred FeslMaislinger und Lustig in Braunau Das Innenministerium will die Haus-Besitzerin enteignen. Sie schlagen seit Jahren ein „Haus der Verantwortung“ vor … 2011 war diese Idee sehr konkret. Auch Branko Lustig (Holocaust-Überlebender, Oscargewinner als Produzent des Spielfilmes „Schindlers Liste“) sagte Unterstützung zu. Der Plan hat sich aber zerschlagen. Obwohl mir das brachiale Mittel der Enteignung nicht unbedingt gefällt, eröffnet sich eine neue Chance. Durch den Wechsel im Innenministerium wird allerdings auch eine neue Kommission eingesetzt. Ich muss abwarten, ob die auch in meine Richtung denkt. Ich habe mit Marketing-Experten gesprochen. Das Haus braucht ein neues, starkes Branding. Eines, das stärker als Hitler ist. Was soll dort geschehen? Man braucht kein weiteres Dokumentationszentrum, das sich mit der NS-Zeit beschäftigt. Davon gibt es schon sehr viele und sehr gute, wie zum Beispiel ganz in der Nähe am Obersalzberg, oder in München. Und man braucht schon gar kein Hitler-Museum. Braunau ist weder Täter- noch Opferort, aber weltbekannt. Ich stelle mir vor, dass immer 25 bis 30 junge Menschen im Alter zwischen 16 und 28 Jahren im Haus sind. Sich dort mit Braunau und der eigenen Geschichte drei Monate intensiv beschäftigen. Zum Beispiel diskutieren Japaner und Chinesen miteinander, Türken mit Armeniern, Amerikaner und Russen und so weiter. Voraussetzung ist, dass sich keiner ausschließlich in der Opferrolle sieht, obwohl jeder Gründe dafür haben könnte. Auf drei Zeitebenen soll das geschehen, die sich mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beschäftigen. Eine Abteilung soll den Alliierten gewidmet sein, als Dank für die Befreiung. Was genau geschieht, entscheide aber nicht ich, sondern ist Sache der jungen Menschen. Welche Wirkung erhoffen Sie sich? Das Haus bekommt endlich eine klare Definition. Ich kenne noch immer viele Menschen, die sich kaum zu sagen getrauen, sie fahren nach Braunau. Oder zu fragen, wo das „Hitler-Haus“ steht. Man darf den Ort nicht benennen. Das ist wie jemand, der herumdruckst, wenn er ins Freudenhaus geht. Braunau ist so stigmatisiert, dass die Leute nur sehr schwer damit umgehen können. Es klingt doch zwangloser, nach dem „Haus der Verantwortung“ zu fragen als nach dem „Hitler-Haus“, oder? Es bringt auch nichts, das Gebäude abzureißen. Was würde dort entstehen? Der „Hitler-Platz“. Was, wenn keine Lösung für die Verwendung des Hauses gefunden wird? Dann bleibt es eine Zeitbombe. Die Gefahr wäre groß, immer mystifizierter Ort für Neonazis zu bleiben. Ich würde mich zurückziehen, wenn ich wüsste, der Name Hitler verliert irgendwann an Bedeutung. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es werden weiter Filme gemacht, Bücher darüber geschrieben. Mehr als je zuvor.

Projekt Details

  • Datum 9. Januar 2017
  • Tags Pressearchiv 2016
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