Gedenken in Kanada
Es ist oft die Wortwahl, die das Zusammenarbeiten von österreichischen Gedenkdienern und jüdischen Holocaust-Überlebenden schwierig macht. Als Vertreter des „Täterstaates Österreich“ wurde ihre Arbeit zu Beginn mit Skepsis aufgenommen. „60 Jahre seid ihr zu spät“, hieß es, und: „Ihr wollt nur gute Stimmung machen“. Die Ängste gegenüber der gemeinsamen Arbeit im Dienst der guten Sache – dem Aufarbeiten der Schrecken der NS-Zeit – sind heute jedoch den praktischen Erfahrungen gewichen. Ein Erfahrungsbericht (Lothar Bodingbauer).
Es gibt einige Worte, die wir während unserer Arbeit mit Holocaust-Überlebenden nicht verwenden dürfen. „Selection“ ist eines davon: Die Deportierten wurden von den Nationalsozialisten vor ihrer Deportation selektiert.
Dann: „Efficiency“. Effizienz war eines der Schlüsselwörter, wenn es um die rascheste und ökonomischste Lösung galt, zukünftige KZ-Häftlinge in Viehwaggons an den Ort ihrer Vernichtung zu bringen.
Das „Golden Age“, ist das Restaurant des Altenheims des jüdischen Zentrums in Montreal. Als ich dort unlängst dem Koch unbedacht mit dem deutschen „Jawohl“ meine Zufriedenheit ausdrücken wollte, daß Apfelsoße auf meiner Mehlspeise ideal sei, war im Raum ein Moment der Stille zu verspüren.
Es hätte böse enden können, aber sie haben dann doch alle weitergegessen.
Was sich wie eine eigenartige, fast witzige Wortspielerei anhört, hat einen ernsten Hintergrund, dem ich nur mit Sensibilität und Verständnis begegnen kann. Das Vokabular des Verbrechens war mir bis zu meinem Dienstbeginn zwar bekannt, aber seine Bedeutung für die Betroffenen kannte ich nicht. Viele Überlebende, mit denen ich Tonband-Interviews mache, zittern heute noch, wenn sie von den Erlebnissen erzählen, die nun in ihrem Leben 60 Jahre zurückliegen.
Ich habe die Internet-Seite des Museums gestaltet, und mußte feststellen, daß ich auch die Farbe Gelb nicht verwenden darf, und diese Farbe scheint auch tatsächlich auch auf keiner Drucksorte des Museums auf.
Gelb war die Farbe, mit der Juden im 3. Reich gebranntmarkt und gekennzeichnet wurden. Es gibt hier noch zu viele Menschen, die sich daran erinnern.
Holocaust-Überlebende betreiben das Montrealer Holocaust Centre gemeinsam mit vier jüdischen Angestellten, die aus zweiter oder dritter Generation stammen. Das Museum wurde 1974 auf Initiative von Holocaust-Überlebenden gegründet und ist in das jüdische Zentrum Montreals eingebettet. In allen Führungsgremium nehmen die Überlebenden eine starke und richtungbestimmende Stellung ein. Viele Überlebender wollen von moderner Museumspädagogik noch nichts wissen, sind von ihrem persönlichen Trauma bestimmt. Sie sagen, ein Holocaust Museum sei zum Gedenken da, brauche keine Darstellung des jüdischen Lebens vor und nach dem Krieg. Nur langsam gelingt es den anderen Mitarbeitern, diese Fokussierung aufzuweiten.
Erstaunlicherweise gibt es am Museum ein Filmprogramm mit Videofilmen aus der NS-Zeit. Da sitzen die Überlebenden und sehen sich einmal im Monat einen Horrorfilm an, mit Sätzen wie „Weg mit dem Juden“ und Maschinengewehrsalven. Die Zuseher sitzen stumm und reißen die Augen auf, essen Cookies und trinken Kaffe. An Skurrilität ist diese Situation nicht zu überbieten. Ich weiß bis heute nicht, warum sie das machen.
Diese Holocaust-Überlebenden unterscheiden sich durch nichts von meinen Großeltern. Die alten Bilder, die sie mir zeigen, sind die gleichen, die Ausbildung ähnlich, ihre Berufe, sie sprechen oft die selbe Sprache. An Montrealer Schulen erzähle ich von meinen Großeltern und ihrer Rolle im nationalsozialistischen System. Die Schüler staunen, wenn ich vom „Umkippen“ berichte, jenem Punkt, an denen sich die Ideale von einem guten, edlen Leben in moralischer wie auch in körperlicher Hinsicht plötzlich sich gegen jene wandten, die nicht so waren, oder von der Staatspropaganda anders dargestellt wurden, als sie selbst sein wollten. Meine Großmutter hat immer den Kopf geschüttelt, wenn wir im Fernsehen Bilder gesehen haben, vom jubelnden Heldenplatz beim Anschluß. „Da sind wir gestanden“, hat sie gesagt, sich gewundert. Sie hatte einfach keine Erklärung.
Mein Kollege Michael Pollan ist der erste jüdische österreichische Gedenkdiener, und das wirft genau zwei Fragen auf. Ist er Österreicher? Ist er Mitglied der jüdischen Gemeinschaft? Wir sind trotz dieser ungeklärten Definitionsfragen in alle Bereiche des Museums eingebunden. Gemeinsam begleiten wir Interviews der „Witness-to-History“-Reihe, Videoaufzeichnungen, die durchgeführt werden, um die Erlebnisse der Überlebenden noch festzuhalten, bevor sie mit dem Tod ihrer Erzähler sterben. Wir übersetzen deutschsprachige Dokumente des Archives ins Englische und betreuen die derzeitige Ausstellung über Kinder des Holocaustes. Das Museum ist auch ein Servicezentrum. Wir helfen ehemaligen Verfolgten Formulare auszufüllen, die ihre Ansprüche für Entschädigungen aus Deutschland und Österreich geltend machen. Das ist ein eigenartiger Interessenskonflikt, wir müssen ja schließlich auch dafür bezahlen, wenn wir wieder heim nach Österreich kommen. Aber daß ich die Menschen kenne, die das Geld bekommen, und sehe, wie viele von ihnen Mindestpensionisten sind, die sich dritte Zähne davon kaufen, hilft.
Ich selbst muß pro Arbeitsstunde umgerechnet 25 Schillinge zahlen, das Geld aus Österreich reicht nicht aus, um meine Kosten zu decken. „Eigeninitiative“ heißt das, und gibt mir etwas Rückendeckung gegen Argumente, Gedenkdiener lebten gut auf Staatskosten im sonnigen Ausland.
Wir werden gefordert, müssen erzählen. Als Gedenkdiener in Kanada sind wir Ansprechpartner für Interessen und Sorgen über Österreich. Immer wieder werden wir gefragt, warum Österreich heute wieder so dumm ist, so eine Regierung zu wählen. Ich erkläre dann die Grundsätze der Demokratie und bedanke mich für die Proteste, denn die gehören halt auch zur Demokratie. Ich sage auch, daß Haider kein Nazi ist, daß die bisherige Regierungsform der österreichischen zwei Großparteien wahrscheinlich ihr Ende finden mußte, und daß ich froh bin, daß die Österreicher in diesen Tagen wieder eine politische Meinung jenseits der Wurstigkeit haben.
Auf Fremdenfeindlichkeit und Populismus in Kanada hinzuweisen, vergesse ich auch nicht. Und zeige meine Sorge darüber, daß Politiker, die polarisieren, den Menschen nichts Gutes tun. Nur einmal hat sich – ein Unbekannter – beschwert, daß wir noch lustig sind, und vor uns hinpfeifen.
Lieselotte hat als Kind den Holocaust überlebt. Mit der Ankunft der Gedenkdiener hat sie wieder angefangen Deutsch zu reden. Wenn wir Kaffee kochen, unterhalten wir uns in deutscher Sprache über die Qualität des Kaffees und über die Güte österreichischer Buchteln. Sie wird mir noch ein Loch in den Bauch fragen.
Es ist das gemeinsame Arbeiten, das gute Stimmung macht, jenseits von politischer Theorie und offiziellen Entschuldigungen, die übrigens für alle Menschen, mit denen ich hier gesprochen hat, von großer Bedeutung sind. Die Leute hier sind einfach – ganz normal – und haben Angst vor allem, was sie aus Österreich an die Schrecken der vergangenen Zeit erinnert.
Wenn ich im Jänner nächsten Jahres nach Österreich komme, werde ich Lehrer sein und mit Schülern arbeiten. Irgendwie lerne ich in diesem Jahr zu begreifen, wozu Erziehung führen kann.
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Lothar Bodingbauer, *1971, studierte in Wien Mathematik und Physik Lehramt und arbeitet als Radiojournalist für ORF und Deutschlandfunk. Dieses Jahr verbringt er als Gedenkdiener des „Vereines für Dienste im Ausland“ in Kanada.
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Stichwort: Gedenkdienst
Der Gedenkdienst wurde 1992 vom Innsbrucker Politologen Andreas Maislinger gegründet. Als Ersatz für den Militär- bzw. Zivildienst befinden sich derzeit ca. 60 Gedenkdiener weltweit an Holocaust-Gedenkstätten im Einsatz. Der Dienst dauert – im Vergleich zum 12-monatigen Inlandszivildienst – 14 Monate und wird rückwirkend als Zivildienstersatz anerkannt. Nähere Informationen finden sich im Internet auf www.auslandsdienst.at undwww.gedenkdienst.at. |