Geburtsstadttrauma: Leben mit Hitler in Braunau, Die Presse, 24.09.2011

24.09.2011

Projekt Beschreibung

Die Presse, 24.09.2011 Geburtsstadttrauma: Leben mit Hitler in Braunau von Georgia Meinhart In der Topografie des Nationalsozialismus hat Braunau einen festen Platz. Den Umgang der Stadt am Inn mit dem dunklen Schatten ihres Erbe will sich der Bürgermeister von Mussolinis Geburtsort zum Vorbild nehmen.

Bild: (c) FABRY Clemens Es war kein Verbrechen, das am 20. April 1889 in einem Eckhaus mit der Adresse Salzburger Vorstadt 15 passierte. Es wurde ein Mensch geboren. Weil es aber einer war, der die Welt ins Verderben stürzen sollte, lebt die Stadt am Inn, in der das Geburtshaus von Adolf Hitler steht, bis heute im dunklen Schatten dieses Erbes. Dazu kommt auch noch ein Name – Braunau –, in dem die Symbolfarbe der Nazis anklingt und der die ungeliebte Hinterlassenschaft noch fester an die Topografie des Nationalsozialismus zu binden scheint. Seit Langem bemüht sich Hitlers Geburtsstadt intensiv um ihre Selbstreinigung. Mitunter auch mit verzweifelten Mitteln: Im vergangenen Sommer hat der Gemeinderat Hitler in einem einstimmigen Beschluss das Heimatrecht und vorsorglich die Ehrenbürgerschaft aberkannt. Es war ein symbolischer Akt, denn tatsächlich erlischt eine Ehrenbürgerschaft mit dem Tod, eine rechtliche Grundlage für ihre Aberkennung gibt es bisher gar nicht. Es gehe nicht darum, auszulöschen, was nun einmal Tatsache ist, sagt Politologe Andreas Maislinger. Er ist wissenschaftlicher Leiter der „Braunauer Zeitgeschichtetage“, die an diesem Wochenende zum 20. Mal stattfinden und Braunau inzwischen zu so etwas wie einer Modellstadt für einen angemessenen Umgang mit einer belasteten Vergangenheit gemacht haben: „Hitler wird immer hier geboren sein. Man muss sich der Verantwortung, die Braunau hat, stellen“, sagt Maislinger. Bei der diesjährigen Tagung mit dem Titel „Schwieriges Erbe“ sind neben dem Auschwitz-Überlebenden und Hollywoodproduzenten Branko Lustig („Schindlers Liste“, „Gladiator“) auch Vertreter aus Berchtesgaden, dem italienischen Predappio oder aus dem georgischen Gori eingeladen. Deren historisch-topografisches „Erbe“: der Obersalzberg (zuerst Feriendomizil Hitlers, dann Führersperrgebiet), der Geburtsort Mussolinis, der Geburtsort Stalins. In Braunau ist es vor allem das zweistöckige, gelb gestrichene Haus, in dem Klara Hitler ihr viertes Kind zur Welt brachte, und nach dem historisch, aber auch einschlägig interessierte Touristen unter dem Namen „Hitlerhaus“ fragen, das bald schon zum Symbol der Wiedergutmachung werden könnte. Falls die Verhandlungen der Republik, die das denkmalgeschützte Haus kaufen soll, mit dessen Eigentümerin erfolgreich verlaufen, steht das Konzept für die Nutzung bereits fest: Unter dem Titel „Haus der Verantwortung“ würden dort eine Auseinandersetzung mit der Stadtgeschichte im Rahmen einer Ausstellung, ein internationales Begegnungszentrum für junge Menschen und so etwas wie eine Zukunftswerkstatt eingerichtet, berichtet Maislinger. Derzeit ist das aber nicht mehr als eine Idealvorstellung. Die Gespräche sind noch nicht weit gediehen. Und sollten sie scheitern, werde eben ein Nachmieter für die Lebenshilfe, die dort bis dato ihre Werkstätten für behinderte Menschen betrieben hat, gesucht, erklärt Bürgermeister Johannes Waidbacher: „Möglicherweise wird auch ein kommerzieller Mieter einziehen.“ Thor Steinar in der Innenstadt. Die Filiale einer Lebensmittelkette in Hitlers Geburtshaus? Dieses Szenario scheint schwer vorstellbar, allerdings hat Braunau mit noch weitaus problematischeren Mietern in der Innenstadt zu kämpfen. Noch immer geht der Verkauf der in rechtsextremen Kreisen beliebten Marke „Thor Steinar“ in der Innenstadt weiter. In Deutschland erhielten Vermieter in ähnlicher Lage Recht: Ein Shop in Berlin-Mitte musste geräumt werden, weil der Mietvertrag nichtig gewesen sei, entschied das Gericht. Verschwiegen wurde, dass die Kleidung vor allem einschlägige Kreise anspricht. Die Räumungsklage gegen „Thor Steinar“ in Braunau, die einer ähnlichen Argumentation folgte, wurde vom Bezirksgericht indes abgewiesen. Zur Pilgerstätte für Alt- und Neonazis ist Braunau allerdings nie geworden. Im Gegensatz etwa zum Geburtsort von Benito Mussolini: In Predappio, nordöstlich von Florenz, wo die extreme Rechte den „Duce“ feiert, wird die faschistische Vergangenheit vermarktet: Devotionalienhändler und Andenkenshops machen mit Mussolini beste Geschäfte. Rund 100.000 Besucher kommen jedes Jahr, um die Krypta des Diktators zu bejubeln. Predappios Bürgermeister Giorgio Frassineti kündigt nun erstmals den Versuch einer Gegenbewegung an: Das Braunauer Modell der Zeitgeschichtetage soll übernommen werden. Das offizielle Braunau lässt auch weiterhin nichts unversucht, eindeutig Stellung zu beziehen: Seit Kurzem gibt es einen dem Widerstandskämpfer Franz Jägerstätter gewidmeten Park. Kulturinitiativen wie „Braunau setzt ein Zeichen“ oder „Stolpersteine“ sollen die Aufarbeitung des NS-Erbes voranbringen. Für Hitler selbst – und das kommt Braunau in seinen Abgrenzungsbestrebungen zugute – spielte Braunau nur eine untergeordnete Rolle. Auf dem Weg von München nach Wien passierte er 1938 seine Heimatstadt – angeblich ohne auszusteigen. Bis auf einen Satz aus „Mein Kampf“ hat Hitler Bezüge zu seiner Herkunft und allem, was damit zusammenhängt, vermieden: „Als glückliche Bestimmung gilt mir heute, dass das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn zuwies“, hatte der spätere Reichskanzler schon 1924geschrieben: „Liegt doch jenes Städtchen an der Grenze jener zwei deutschen Staaten, deren Wiedervereinigung mindestens uns Jüngeren als eine mit allen Mitteln durchzuführende Lebensaufgabe erscheint.“ Für die Stadt Braunau wurde die „glückliche Bestimmung“ zu einer unglücklichen – mit der sie leben wird müssen. 1889 Geburtsstadt. Am 20. April 1889 wurde Adolf Hitler in Braunau geboren. 1938 Ehrenbürger. 1938 wurde Hitler von der damals selbstständigen Gemeinde Ranshofen die Ehrenbürgerwürde zuerkannt. Die Gemeinde wurde sechs Monate später als Stadtteil von Braunau eingemeindet. 2011 Aberkennung. Am 7.7. 2011 hat der Braunauer Gemeinderat einstimmig die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde und des Heimatrechts Hitlers beschlossen. Ein Gesetzesentwurf, der diesen posthumen Schritt erst möglich machen würde, ist derzeit aber noch in der Landesregierung in Begutachtung. 20. Zeitgeschichtetage. Die Braunauer Zeitgeschichtetage finden an diesem Wochenende zum 20. Mal statt. Diesjähriger Titel: „Schwieriges Erbe“. („Die Presse“, Print-Ausgabe, 25.09.2011) Link: http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/695765/Geburtsstadttrauma…

Projekt Details

  • Datum 16. Juni 2016
  • Tags Pressearchiv 2011

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