Entschuldigung, Jüdische Rundschau, 27.08.1992

27.08.1992

Projekt Beschreibung

Entschuldigung von Andreas Maislinger „Kaiser Akihito könnte in Peking gedemütigt werden und gezwungen sein, sich für die damaligen Greueltaten zu entschuldigen“, berichtet die Süddeutsche Zeitung am 6. August. Für die japanische Führung ist es noch immer ein unerträglicher Gedanke, sich für den Massenmord an Chinesen klar zu entschuldigen. Ähnlich verhielt sich der französische Präsident zum Gedenken an die Deportationen der Juden aus Frankreich. Mit Vichy wollte Mitterand nichts zu tun haben, sich für die Verfolgung der Juden unter Petain auf keinen Fall entschuldigen. Im Mai mußte der polnische Präsident im Kreml erfahren, daß die neuen Herren gegenüber den Verbrechen von Katyn keine andere Einstellung haben. Nach Gorbatschow war auch Jelzin nicht bereit, sich für die Ermordung der polnischen Offiziere zu entschuldigen. Walesa mußte wie vor ihm Präsident Jaruzelski allein die Gedenkstätte von Katyn besuchen. Warum diese Weigerungen, sich für Verbrechen der Vergangenheit zu entschuldigen? Es müßte sich doch unter den Staatsoberhäuptern herumgesprochen haben, daß diese öffentlich geäußerten Bekenntnisse eigener Schuld völlig unverbindlich bleiben. Es ist so einfach wie das „Entschuldigen Sie!“ in der Straßenbahn, wenn Sie einem anderen aus Versehen auf die Füße getreten sind. Der Entschuldigung folgt meist wie von selbst das „Nichts passiert!“, und die Sache hat sich. Es war nur ein unbeabsichtigter Fehler. Keiner würde auf die Idee kommen, daß mit einer derartigen Entschuldigung eine rechtliche Verpflichtung zu einer „Wiedergutmachung“ verbunden sein könnte. Genau so ist es bei den seit der Wende in Osteuropa in Mode gekommenen Entschuldigungen. Unmittelbar nach der ersten demokratischen Wahl hatte die Volks- kammer der DDR den Reigen der Entschuldigungen im ehemaligen Ostblock eröffnet. Mit dem Wissen, daß die bankrotte Noch-DDR ohnehin keine „Wiedergutmachungsleistungen“ erbringen kann, wurde ein Verhalten vorgegeben, an das sich andere ehemalige Ostblockländer und Sowjetrepubliken hielten, welche ebenfalls ein schlechtes Gewissen los werden wollten. Ein „Muster ohne Wert“ war geprägt. Den Präsidenten Litauens, Polens und der Ukraine ging das „Entschuldigen Sie!“ leicht von den Lippen. Erstaunlich bleibt, daß diese unverbindlichen Äußerungen von jüdischen Organisationen und Persönlichkeiten akzeptiert und sogar mit großer Dankbarkeit aufgenommen wurden. Das wundersamste Beispiel bietet dabei die Erklärung des österreichischen Bundeskanzlers vom 8. Juli 1991. Als ob die Republik Österreich ebenfalls zum unfreien Ostblock gehört hätte, erfolgte erst jetzt das Eingeständnis einer „moralischen Mitverantwortung“ für die Shoa. Mehr als ein Jahr nach der DDR. Mit ähnlichen Geschichtskonstruktionen war es diesen beiden Staaten gelungen, sich aus der Geschichte herauszustehlen. Die DDR definierte sich mit der Sowjetunion als Sieger des Zweiten Weltkrieges, die Republik Österreich als Opfer des Nationalsozialismus. (Wohlgemerkt: Österreich war auch Opfer. Die Deutsche Wehrmacht ist völkerrechtswidrig im März 1938 in Österreich einmarschiert. Das hat der deutsche Bundespräsident von Weizsäcker bis jetzt noch nicht eingestanden.) Österreicher waren jedoch, bezogen auf den Bevölkerungsanteil im Dritten Reich, in einem großen Maß Täter. Wiesenthal hat 1966 in einem Memorandum darauf hingewiesen.„Wir bekennen uns zu allen Daten unserer Geschichte und zu den Taten aller Teile unseres Volkes, zu den guten wie zu den bösen; und so wie wir die guten für uns in Anspruch nehmen, haben wir uns für die bösen zu entschuldigen – bei den Überlebenden und bei den Nachkommen der Toten.“ Bundeskanzler Vranitzky erklärt also, daß wir Österreicher uns „zu entschuldigen haben“. Haben wir uns damit gegenüber dem jüdischen Volk entschuldigt? Vranitzky hat doch nur gesagt, daß wir es zu tun haben. Außerdem: Geht das überhaupt, kann eine Person, kann ein Volk sich selbst von seiner Schuld an einem Verbrechen lösen – sich ent-schuldigen? Wir haben bei den Überlebenden und bei den Nachkommen der Toten um eine Vergebung der Schuld zu bitten, und uns nicht bloß unverbindlich zu entschuldigen. Dies müßte sich doch bei einigermaßen logischem Denken ergeben. Logik ist jedoch auch anderen Bereichen der „Vergangenheitsbewältigung“ fremd. Bereits der Begriff deutet es an: Vergangenes läßt sich nicht bewältigen. Bewältigen lassen sich nur Probleme der Gegenwart. Das immer wieder geäußerte Urteil, wonach die Vergangenheit falsch, unvollständig oder überhaupt nicht bewältigt worden ist, bleibt in jedem Fall unsinnig, weil sich Verbrechen nicht bewältigen lassen. Unsinnig ist daher auch der Begriff „Wiedergutmachung“. Dies alles mag nach Wortklauberei klingen. Mit diesen mehr- deutigen Begriffen läßt sich jedoch leicht eine mehrdeutige Politik betreiben. Jeder kann herauslesen, was er will. Durch diese Unverbindlichkeit lassen sich die Ansprüche von außen (Opfer) mit denen von innen (Täter) vereinbaren. Dies funktioniert nur, wenn alle Aussagen unbestimmt bleiben. Vranitzky spricht daher nicht von einer Verantwortung für den Mord an den europäischen Juden, sondern von einer „moralischen Mitverantwortung für diese Taten“. Sollte dieser für „das Ausland“ und „die Juden“ bestimmte Text im eigenen Land kritisiert werden, bleiben Auswege offen. So ist die Heuchelei vorprogrammiert. Eine Fülle von internationalen Organisationen und Konferenzen kümmert sich in Europa von Abrüstung bis Zollbestimmungen um alles, außer um eine Klärung der mit der Aufarbeitung der Verbrechen der Vergangenheit verwendeten Begriffe. Andere für die Beziehungen zwischen Staaten und Völkern wichtige Begriffe werden in oft tagelangen Sitzungen abgeklärt. Wann wird das erste KSZE-Büro für „Vergangenheitsbewältigung“ eingerichtet? Wenn es möglich war, weltweite Standards für die Einhaltung der Menschenrechte auszuarbeiten, müßte es auch möglich sein, zumindest europaweite Standards für die Aufarbeitung von staatlich organisierten Verbrechen vorzugeben. Dr. Andreas Maislinger, Politikwissenschaftler und Publizist in Innsbruck, leitet die Braunauer Zeitgeschichte-Tage und hat das Projekt GEDENKDIENST initiiert.

Projekt Details

  • Datum 14. August 2016
  • Tags Pressearchiv 1992

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