Ein wohl niemals gelingender Versuch von Heimkehr, Oberösterreichische Nachrichten, 9.11.1999

09.11.1999

Projekt Beschreibung

Ein wohl niemals gelingender Versuch von Heimkehr

VON GERHARD MARSCHALL

LINZ. Entfremdung und vorsichtige Annäherung, enttäuschte Abkehr und der neuerliche Versuch von Rückkehr – das Verhältnis des Nobelpreisträgers Walter Kohn zu österreich ist zwiespältig geblieben. „Mit Österreich werde ich immer Schwierigkeiten haben“, sieht Walter Kohn die Dinge nüchtern: „Meine eigene Vergangenheit ist ja eine Tatsache, die kann man nicht vergessen.“ Damals, drei Wochen vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, musste Kohn wegen seiner jüdischen Herkunft Österreich verlassen. Er war gerade 16 Jahre alt. Die Spuren seiner Eltern verloren sich im Konzentrationslager Auschwitz. Die Geschichte, die große wie die persönliche, ist Faktum und unverrückbar. Zugleich liege ihm etwas an diesem Österreich, sieht der 76-Jährige die Dinge differenziert. Schließlich sei er hier geboren, sei er hier „sozusagen als Kind gestaltet worden“. Also habe er eine Beziehung zu diesem Land, suche er es immer wieder auf. Vorige Woche etwa. Da war Kohn zum ersten Mal in Linz, um an der 30-Jahr-Feier der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Johannes-Kepler-Universität teilzunehmen – als hochdekorierter und prominentester Gratulant.

Leidige Opfer-Theorie

Im Vorjahr wurde Kohn der Nobelpreis für Chemie zuerkannt, obwohl er Physiker ist. Als solcher hat er allerdings mit der Dichtefunktionaltheorie und der Lokale-Dichte-Näherung zwei mathematische Beweise entwickelt, die heute in der Erforschung von Eigenschaften von Festkörpern unverzichtbar sind. Die Auszeichnung hat den in Santa Barbara in den USA lebenden Wissenschafter auch hier zu Lande breitere Popularität verschafft. Doch hat er allen Versuchen, den „großen Sohn Österreichs“ quasi heimzuholen, bewusst und mit Erfolg widerstanden. Bei seinen gelegentlichen Besuchen hier habe er immer wieder ein Erlebnis gehabt, erzählt Kohn im OöN-Gespräch: Ein jedes Mal sei nach wenigen Tagen ein Gespräch auf die Hitler-Zeit gekommen, und stets sei ihm, dem Vertriebenen, erklärt worden: „Uns brauchen Sie nichts zu erzählen, denn wir waren ja die ersten Opfer.“ „Immer wenn ich das höre, kommt mir das Blut in den Kopf“, kann und will Kohn seinen Zorn über solches Gerede erst gar nicht verbergen: „Denn ich habe 1938 die Heldenplatz-Demonstranten persönlich gesehen, und das waren nicht Opfer.“

Viele Bezüge

Spätestens dann, wenn er die Opfer-Theorie zum dritten Mal höre, müsse er weg – um dennoch immer wieder zurückzukehren. Schließlich sei ein gut Teil seiner Familie hier und habe er auch gute wissenschaftliche Beziehungen zu Wien und neuerdings auch Linz, so Kohn: „Es gibt schon Sachen, die mich hier sehr ansprechen.“ Dennoch sei er in diesem Land, in dem er geboren und aus dem er als Kind vertrieben wurde, ein Fremder geblieben, sagt Kohn: „überall habe ich mich wohl gefühlt, außer in Österreich.“ Es ist aber nicht Verbitterung, schon gar nicht Hass, die aus diesem Mann spricht, in dessen Augen etwas überaus Positives, ja Fröhliches steht. Er überdenkt seine Worte genau, wägt ab, sagt nicht zu viel und doch alles. Und obwohl er seit langer Zeit im Ausland lebt, sagt er es in präzisem Deutsch, das er nicht zu jenem Kauderwelsch entfremdet, mit dem andere in peinlicher Weise Internationalität zu demonstrieren versuchen. Über eine Gruppe junger österreicher hat Kohn eine neue Beziehung zur ehemaligen Heimat aufgebaut – die Gedenkdiener. Von jenen, die in den USA Wehrersatzdienst leisten, habe er bereits einige kennengelernt, „sie waren fabelhaft“. Einer sei für ihn so etwas wie ein Sohn geworden, erzählt der Vater dreier Töchter. „Sie setzen sich ein und haben etwas ganz Ungewöhnliches durchgesetzt“, ist Kohn von der Gedenkdienst-Idee angetan: „Ich fühle mich dieser Organisation sehr nahe.“ Er habe, sagt der Nobelpreisträger, „ungemein großen Respekt“ vor den Gedenkdienern, denn das, was sie leisten, sei „der richtige Weg für Österreich: der Vergangenheit direkt in die Augen zu schauen und dagegen etwas zu tun. Und nicht zu sagen, wir waren die ersten Opfer“. Dass es nach wie vor – oder schon wieder – viel zu tun gebe, liegt für Kohn auf der Hand. „Ich war nicht überrascht“, kommentiert er das Wahlergebnis vom 3. Oktober. Schließlich habe er von jenen Plakaten gehört, die „Stop der Überfremdung“ gefordert haben und die ihn, den Fremden, alarmiert hätten.

Inhalt der Kritik

Er wolle sich nicht in die österreichische Innenpolitik einmischen, sagt Kohn und beschränkt sich darauf, wie hier zu Lande auf Kritik aus dem Ausland reagiert wird. Zum einen hat er durchaus ein Einsehen: „Ich kenne ja jetzt die Menschen schon etwas und kann das verstehen, dass man einen Ausweg aus einer unangenehmen Sache sucht.“ Und ein solcher Ausweg sei, zu sagen, dass man sich nicht von außen dreinreden lasse. Zum anderen sei das jedoch allzu einfach: „Man soll auf den Inhalt der Kritik reagieren und nicht darauf, woher die Kritik kommt.“ Die für 12. November in Wien geplante Demonstration gegen ein neuerliches Aufflammen von Rassismus begrüßt Kohn. Wie viele andere Prominente sei auch er eingeladen worden, ein Manifest zu unterschreiben. Er werde der Bitte aber nicht nachkommen: „Ich glaube, dass das jetzt hauptsächlich eine österreichische Angelegenheit ist. Und ich bin nicht mehr Österreicher.“ Er werde den Organisatoren der Kundgebung freilich ein Statement schicken und in diesem seine prinzipielle Einstellung zur Behandlung von Minderheiten darlegen: „Gerade diese neue Zeit, in die wir alle so schnell hineinkommen, verlangt Verständnis und gutes Verhalten gegenüber Fremden und Minderheiten im eigenen Land.“

Nicht wegschauen

Österreich habe diesbezüglich in der Vergangenheit positive Beispiele erbracht, daran sollten sich die Menschen orientieren. Hingegen brauche sich das, was an Negativem passiert ist, nicht zu wiederholen. Was dagegen zu tun sei? Kohn: „Man darf absolut nicht in die andere Richtung schauen, wo man die Gefahr nicht sieht.“ Die Gefahr sei immer unangenehm und mit allerlei politischen Schwierigkeiten verbunden, trotzdem: „Man muss der Gefahr in die Augen schauen und sich dann einsetzen, wo immer man ist.“ Er werde der Anti-Rassismus-Demonstration nun eben „meine paar Sätze“ schicken, das sei das, was er jetzt tun könne, so Kohn: „Man muss etwas tun, das ist eine der wichtigsten Lehren aus der Nazi-Zeit. Und nicht zu sagen, es schien doch nicht so gefährlich am Anfang.“

Kohns großes Lob für den Gedenkdienst

Als richtungweisend im Umgang mit der eigenen Geschichte bezeichnet der Nobelpreisträger Walter Kohn im OÖN-Gespräch den Gedenkdienst, den junge österreicher laut Zivildienstgesetz im Ausland leisten können. Mit ihnen verbinde in „eine wirkliche Solidarität“. Der Verein für Dienste im Ausland, die mittlerweile größte Trägerorganisation, besetzt schon etwa 20 Gedenkdienst-Plätze, darunter im Simon-Wiesenthal-Center oder in der von Filmregisseur Steven Spielberg gegründeten Shoa-Foundation, beide in Los Angeles, im Jüdischen Museum in Berlin oder in Paris, London, Mailand, Krakau . . . Neben dem reinen Gedenkdienst verlagere der Verein laut Obmann Andreas Maislinger seine Aktivitäten immer mehr auf den Sozial- und den Friedensdienst. Ein Schwerpunkt seien Hilfsprojekte für Straßenkinder in Mittel- und Südamerika. Anfang Dezember hält der Verein in Wien eine nächste Informationsveranstaltung für Interessenten ab. Näheres unter der Internet-Adresse: www.auslandsdienst.at

Projekt Details

  • Datum 25. September 2016
  • Tags Pressearchiv 1999

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