Architekten der europäischen Verständigung Junge Österreicher leisten Gedenkdienst in Theresienstadt, Prager Zeitung, 1994

1994

Projekt Beschreibung

Architekten der europäischen Verständigung

Junge Österreicher leisten Gedenkdienst in Theresienstadt / Von Thomas Frey

Prag (PZ) – „Ich bin Jahrgang 1966, habe deshalb keine persönliche Schuld an den Naziverbrechen. Aber auch ich habe eine Verantwortung.“ So umschreibt Siegfried Hybner den Antrieb für seine einjährige Arbeit im ehemaligen Konzentrations-lager Terezín (Theresienstadt). Der Architekturstudent aus Innsbruck war erst der zweite Österreicher, der dort seinen Gedenkdienst ableistete.

Projekt Gedenkdienst – so heißt eine Form des Zivildienstes, die es in der Alpenrepublik seit 1991 gibt. Über seine Arbeit informierte unlängst eine Veranstaltung in Prag, die von der österreichischen Botschaft organisiert wurde. Junge Zivildienstleistende haben die Möglichkeit, ein Jahr in einer Gedenkstätte im Ausland mitzuarbeiten, z.B. in der zentralen israelischen Erinnerungsstätte Yad Vashem, im Anne-Frank-Haus in Amsterdam, im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz, im Holocaust Memorial Museum in Washington oder eben in Theresienstadt.

„400 Leute bewerben sich dafür jedes Jahr“, erzählt Dr. Andreas Maislinger (38). Der Innsbrucker Politologe und Publizist ist Vorsitzender und treibende Kraft des Projekts Gedenkdienst. „Viele Leute springen aber ab, wenn sie genaueres über die Aufgabe erfahren, andere haben sich ohne großen Ernst beworben. Wer wirklich beim Gedenkdienst mitarbeiten will, für den haben wir auch einen Platz.“

Siegfried Hybner bestätigt das: „Die Interessenten, die sich zusammen mit mir um eine Stelle beworben haben, wurden fast alle genommen.“ Nach Terezín gingen bisher ausschließlich junge Architekten und Architekturstudenten. Denn die Gedenkstätte soll in Zukunft zu einem Begegnungszentrum ausgebaut werden. „Gerade in dieser Hinsicht haben uns die jungen Leute eine Menge geholfen“, lobt Vojtech Bladig, der Leiter der historischen Abteilung. Auch Gottfried Prasenc (25), Architekturstudent aus Graz, der seit Juli als Nachfolger Hybers in der Gedenkstätte arbeitet, wird bei den Planungen sowie im Bereich Verwaltung eingesetzt. „Obwohl ich über den Nationalsozialismus und über das Schicksal der Juden bereits zuvor eine ganze Menge wußte, merkte ich sehr bald, daß all mein Wissen bisher nur abstrakt war, daß man ein wirkliches Mit-Fühlen erst an so einem Platz wie Theresienstadt bekommt.“ So umschreibt Prasenc die Erfahrungen und Gefühle der ersten Arbeitswochen.

Die Möglichkeiten für junge Menschen in Theresienstadt oder auch anderswo mitzuarbeiten sind, so meinen die beiden, noch lange nicht ausgeschöpft. Manchmal, gibt Siegfried Hyber zu, hätten ihm auch die eingefahrenen Strukturen zu schaffen gemacht. „Ich hatte bisweilen das Gefühl, es ließe sich noch viel mehr machen. Noch mehr Austausch, Information, Begegnungen. Aber wahrscheinlich braucht das alles seine Zeit. Außerdem will ich als ausländischer Mitarbeiter auch nicht den Eindruck erwecken, immer gleich alles besser zu wissen.“

Zufrieden mit den bisherigen Erfahrungen und der Resonanz von Projekt Gedenkdienst ist auch Andreas Maislinger. „Ich habe den Eindruck, daß auch die verantwortlichen Stellen in der österreichischen Regierung die Wichtigkeit des Projekts inzwischen erkannt haben. Das zeigt nicht zuletzt die Tatsache, daß die Botschaft diese Informationsveranstaltung organisiert hat.“ Als wichtiges Ziel der Arbeit sieht er an, „etwas aktiv zu machen. Ich halte wenig davon, nur in der Betroffenheit über die Verbrechen der Vergangenheit zu verharren, dafür um so mehr von konkreter Mitarbeit.“ Gerade die Österreicher haben, so Maislinger, erst sehr spät das Bewußtsein bekommen, daß sie nicht nur Opfer des Nationalsozialismus, sondern eben auch Mittäter waren.

Projekt Details

  • Datum 25. August 2016
  • Tags Pressearchiv 1994

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