Abwehrerfolge, über die man sich nicht so recht freuen kann, Die Presse

27.03.2012

Projekt Beschreibung

Die Presse, 27.03.2012

Abwehrerfolge, über die man sich nicht so recht freuen kann

KURT SCHOLZ

Junge Menschen, auf deren Engagement und Einsatzfreude Österreich eigentlich nur stolz sein kann, sind wohl die Letzten, die man vor den Kopf stoßen sollte. Zum Beispiel die Gedenkdiener.

Sie arbeiten in Theresienstadt und Marzabotto, in Vilnius und Auschwitz, in Prag und Jerusalem. Junge Männer organisieren pädagogische Projekte im Anne-Frank-Haus, betreuen Seminare in Kiew, übersetzen Dokumente, ordnen Nachlässe österreichischer Emigranten in New York, pflegen alte Menschen in Buenos Aires oder unterstützen Forschungsvorhaben in Buchenwald.
Dass sie dazu nicht nur Englisch, Italienisch oder Spanisch sprechen müssen, sondern je nach Einsatzort auch Russisch, Ukrainisch, Tschechisch oder Ungarisch verstehen sollen, ist selbstverständlich. Zwanzig 18- und 19-Jährige arbeiten jährlich an Brennpunkten der Zeitgeschichte. Ihr Einsatz wird als Zivilersatzdienst anerkannt, dauert aber deutlich länger als die Arbeit der „Zivis“: Zwölfeinhalb Monate sind sie im Ausland, aber vorher absolvieren sie eine acht Monate dauernde freiwillige Ausbildung. Diese bezahlen sie selbst. Dafür erhalten sie dann für ihren Auslandseinsatz monatlich 686 Euro vom Innenministerium. Davon ist alles zu finanzieren: die Flüge in den Einsatzort, die Wohnungskosten, das Essen, allfällige Gebühren für Verkehrsmittel, Visa etc. Familienbeihilfe gibt es für diesen Zeitraum nicht, Nebentätigkeiten sind verboten. Kein Wunder, dass die meisten 18-, 19-jährigen Gedenkdiener Kredite aufnehmen, um ihren Auslandsaufenthalt finanzieren zu können. Oder haben Sie eine Idee, wie man mit 686 Euro monatlich in London, New York oder Amsterdam seinen gesamten Lebensunterhalt inklusive Reise bestreiten kann, ohne dass man persönlich etwas dazuschießt? Zwanzig junge Menschen repräsentieren jährlich Österreich im Ausland. Sie sind keine „Botschafter“, dazu fehlen ihnen die Diplomatenpässe. Sie präsentieren sich selbst und den guten Willen, mit der Geschichte anständig umzugehen. Ganz nebenbei organisieren sie in Österreich ein Forschungsforum, Filmwochen, Studienfahrten, Zeitzeugengespräche, Fortbildungen für Schulen und wöchentliche Vorträge. Sie sind eine Leistungselite. Sie zeichnen sich aus und wurden von der EU ausgezeichnet. Jüngst haben sie auch innerösterreichisch einen großen Erfolg errungen: Nach einem publizistischen Aufschrei ist es ihnen gelungen, die Kürzung ihrer Unterstützung zu verhindern. Wäre es nach dem Innenministerium gegangen, hätte ein Gedenkdiener pro Monat nicht mehr 686 Euro, sondern nur noch 550 Euro bekommen, viel weniger als ein Zivildiener. Ob ein Machtwort des Bundeskanzlers oder späte Einsicht der Innenministerin für die Rücknahme dieser Existenzbedrohung ausschlaggebend war, ist nicht klar. An der Gesamtsituation eines hochqualifizierten Prekariats, von jungen Idealisten an der Armutsgrenze, ändert das nichts. Man hat, hört man, halt auch beim Gedenkdienst sparen wollen. In einer Biografie Josephs II. finde ich folgende Sätze: „Bei den Hottentotten und Irokesen“, schreibt der Reformkaiser, „könnten nicht schauerlichere und lächerlichere Dinge sich ereignen als in der österreichischen Staatsverwaltung, besonders in den Hofstellen und in der Staatskanzlei. Man könnte Komödien darüber schreiben, die jenen unglaublich erscheinen müssen, die sie nicht miterlebt haben.“ Die Komödie der geplanten Gedenkdienstkürzung hat sich nicht zur Tragödie ausgewachsen. Eine Farce bleibt sie allemal. Link: http://diepresse.com/home/meinung/quergeschrieben/kurtscholz/743795/Abwe…

Projekt Details

  • Datum 13. Juli 2016
  • Tags Pressearchiv 2012

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