„Es gibt kaum noch Hass und Vorurteile gegen die Sudetendeutschen“

Am 5. März 2014 war Mgr. Ondřej Matějka zu Gast bei unserer wöchentlichen Internetkonferenz, der Mittwochskonferenz. Mgr. Ondřej Matějka ist der Direktor von Antikomplex, eine Bürgervereinigung, die sich seit 1998 um eine kritische, tschechische Aufarbeitung der deutschsprachigen Geschichte der böhmischen Länder bemüht. Das Interview hat unser PR-Mitarbeiter David Buchwinkler geführt. Ondrej Matijka Was waren die ersten Projekte von Antikomplex und wie wurden diese aufgenommen? In unseren ersten Projekten haben wir zusammen mit Zeitzeugen Vorträge in Schulen organsiert. Diese wurden sehr gut aufgenommen, da wir Leute wie Karel Schwarzenberg, die sehr gerne an Schulen und Gymnasien gesehen waren, eingeladen haben. Des Weiteren wurden öffentliche Debatten organisiert, bei denen wir zum Beispiel die umstrittene langjährige Vorsitzende vom Bund der Vertriebenen Erika Steinbach eingeladen haben. Was war ihr bisher erfolgreichstes Projekt? Das war ganz bestimmt das Projekt „Das Verschwundene Sudetenland“. Dort wurden alte Bilder aus dem Sudetenland genommen und die Orte auf diesen Bildern neu fotografiert. So entstand ein Vergleich, der in den allermeisten Fällen einen Verlust zeigte. Es ist sehr viel Kulturlandschaft und Kultur an sich verschwunden. Es veranschaulicht die Fragen, die sich jeder im Sudetenland stellt: „Was ist hier verschwunden? Was ist hier kaputt gegangen?“. Daraus ist eine Wanderausstellung entstanden, die seit 2002 ununterbrochen unterwegs ist und das Buch zum Projekt wurde über 20.000 Mal verkauft, was in Tschechien ein Bestseller ist. Wie gehen verschiedene Generationen mit der Vertreibung um? Es gibt Unterschiede, doch diese sind nicht so plakativ wie man sich das denken würde. Viele Jugendliche wissen nicht über die Geschehnisse Bescheid, da dieses Thema nicht mehr so präsent ist. Die informierten Jugendlichen sind aber offener und kritischer bei solchen Fragen. Die Jungen haben es natürlich leichter, doch ohne die alten Vordenker hätten wir es nicht schaffen können. Sind heute noch Hass und Vorurteile vorhanden? Es gibt kaum noch Hass und Vorurteile gegen die Sudetendeutschen. Bei der Präsidentschaftswahl im letzten Jahr wurde die kritische Einstellung von Karel Schwarzenberg (Schwarzenberg verurteilt die Vertreibung als schwerwiegenden Fehler) angeprangert. Umfragen zeigen aber, dass eine kritische Einsicht zu diesem Thema nach und nach die Oberhand gewinnt. Können Sie etwas zu ihrem neuen Projekt Zapojme.se sagen? Das ist ein Projekt zur politischen Bildung auf kommunaler Basis. Wir haben Dokumentarfilme, Workshops, Kurse und ein E-Learning Programm für die Öffentlichkeit gemacht. Politische Bildung ist etwas, was es in Tschechien nicht wirklich gibt beziehungsweise erst am Anfang steht. Vor kurzem erst hat man wahrgenommen, dass man so etwas wie politische Bildung braucht. Welche Projekte sind für die Zukunft geplant? Wir planen ein neues Bildungsprojekt, bei dem wir mit Erinnerungsorten arbeiten. Wir suchen gezielt Orte, mit denen unterschiedliche Gruppen verschiedene Erinnerungen verbinden. Darüber wollen wir dann einen Dialog führen um Konflikte in den Erinnerungen aufzuarbeiten. Viele politische Konflikte, die man heute hat, haben ihren Ursprung in unterschiedlichen Erzählungen, Werdegängen und der Herkunft der einzelnen Gruppen. Ein weiteres Projekt heißt „Gewalt in der tschechischen Gesellschaft“. Es geht darum unterschiedliche Formen der Beziehung zwischen Mehrheit und Minderheit anzusprechen. Das sind zum einem ethnische Themen mit Migranten und Roma, zum anderen Gender-Themen und auch mit Obdachlosen wird zusammengearbeitet. Es geht jeweils darum, die Grenzen und damit auch die Spannungen zwischen Mehrheit und Minderheit zu formulieren. Dazu wollen wir ein Theaterprojekt machen mit Hilfe der Theatermethode Forumtheater. Man versucht mit den Betroffenen ein Theaterstück zu machen und das Publikum ist dazu aufgerufen, hineinzuwirken und zu diskutieren.