Project Description
Müll in der Stadt des Dalai Lama
Von Matthias Pazmandy
Statt Zivildienst: Auslands-Dienst am Fuße des Himalayas
Dharamshala, Indien – Am Anfang stand die Idee, ins Ausland zu flüchten. Weit weg. Ein weiteres Kriterium: etwas Sinnvolles tun. Zivil- bzw. Wehrdienstpflicht ableisten – in einem Aufwaschen – perfekt! Auslands-Dienst stellte sich für mich als die perfekte Lösung heraus.
Ich entschied mich für Indien. Genauer, für einen der kulturell interessantesten Plätze Nordindiens, Dharamshala, das Zentrum der tibetischen Diaspora. Der Ort wurde zur Exil-Heimat seiner Heiligkeit, des Dalai Lama und zum Haupt-Quartier des tibetischen Freiheits-Kampfes. Hier leiste ich meinen Auslands-Zivildienst, im Tibetan Welfare Office (TWO), einer Organisation, die sich um das „Wohlergehen der Tibeter im Exil“ kümmert. Meine Aufgaben bestehen in der Umwelt-Bildung, im Verkauf und Marketing lokal hergestellter Recycling-Papier-Produkte.
Fehlendes Umwelt-Bewusstsein
Abfall-Vermeidung oder dessen Entsorgung sind in Indien Fremdwörter. Dabei hat das Land mit der zweitgrößten Bevölkerung der Erde mit kaum zu bewältigenden Abfallbergen zu kämpfen. Auf den ersten Blick scheint McLeod Ganj, der tibetische Teil Dharamshalas, ein sauberer Ort zu sein. In den engen Gassen liegt kaum Müll und die auf der Straße lebenden Kühe und Hunde haben keine auf Verschmutzung hindeutenden Geschwüre und Krankheiten, wie sie in den Großstädten zu sehen sind.
Als Mitarbeiter des TWO erfährt man aber bald, dass hinter den für die Touristen sauber gehaltenen Fassaden die Situation eine ganz andere ist.
Das Schicksal der Tibeter
Nach der chinesischen Okkupation Tibets 1959 flüchteten zigtausende Tibeter nach Indien ins Exil. Die indische Regierung gewährte ihnen Asyl. Durch immer neue Flüchtlings-Ströme wuchs die Bevölkerung rasch an. Die Tibeter brachten nicht nur tragische Schicksale mit, sondern auch eine uralte, noch immer lebendige Kultur. So wurde der wirtschaftlich und kulturell ursprünglich unbedeutende Ort Dharamshala, zu einem Anziehungs-Punkt für Touristen und indische Geschäfts-Leute. Nach „Little Lhasa“, wie Upper Dharamshala in Anspielung auf die tibetische Hauptstadt Lhasa genannt wird, kommen besonders zu den alljährlichen Vorträgen des Dalai Lama Scharen von Sinnsuchern, Neugierigen und Buddhisten aus aller Welt.
Mit der Einführung von Plastik in den achtziger Jahren, kam es zu einer bedenklichen Ansammlung von Müll auf den umliegenden Hängen des Ortes.
Der Dalai Lama versinkt im Müll
„Wir waren dabei, unter einem großen Plastikberg zu ersticken“, erinnert sich Namgyel Tsering, ein Kollege im TWO. Die Müll-Problematik verschärfte sich dramatisch, sodass sich die örtliche Bevölkerung, die tibetische Administration und engagierte Ausländer entschlossen, das Problem zu bekämpfen. „Viele Westler beschwerten sich damals zu Recht, dass seine Heiligkeit, der Dalai Lama, universale Verantwortung predige, Upper Dharamshala jedoch im Müll versinke“, erzählt Namgyel Tsering.
Umwelt-Bildung und Müll-Entsorgung lauteten die beiden einfachen Rezepte. So entstand das bisher größte und erfolgreichste Projekt des Tibetan Welfare Office: das „Clean Upper Dharamshala Project“. So genannte „Green Worker“ zogen allmorgendlich durch die Straßen Dharamshalas, um den Müll von Haushalten und Geschäften einzusammeln. Das Ergebnis: Upper Dharamsala ist heute wesentlich sauberer als der Rest Indiens. Um ein langfristiges Umdenken bei den Menschen und Müll-Produzenten zu bewirken, veranstaltet das TWO Bildungs-Kampagnen, Umweltkunde-Klassen in den umliegenden Schulen und Seminare für öffentliche und private Institutionen.
Die Projekte der Auslandsdiener
Am leichtesten ist es noch, Kinder mit einem solchen Umwelt-Verhalten vertraut zu machen. Mein Auslandsdienst-Vorgänger und ich erarbeiteten gemeinsam ein Programm für die neue Umwelt-Bildungskampagne für Schulkinder. Um das Thema „Müll und Umwelt“ den Kindern interessant und erfolgreich zu vermitteln, gestalteten wir die Stunden spielerisch. Mit Bildern, Rätseln und kleinen Spielszenen versuchten wir den Kindern beizubringen, was Müll ist, wie er entsorgt wird und wie er zu vermeiden ist.
Ein weiteres Aufgaben-Gebiet eines „Auslands-Dieners“, ist der Verkauf und die Vermarktung von Recycling-Papierprodukten. Dem eigenen Grundsatz vom Recyceln gerecht werdend, stellt das TWO in einer Manufaktur handgeschöpftes Papier her, das zu hundert Prozent aus Altpapier besteht. Die ausschließlich in Handarbeit erzeugten Tagebücher, Fotoalben und Grußkarten finden unter Touristen großen Anklang. Ich versuche auch, Verkaufs-Möglichkeiten im Ausland zu erschließen. Regelmäßige Aufträge sichern ehemaligen Flüchtlingen und Neuankömmlingen aus Tibet ein Einkommen, sowie dem TWO die Chance, längerfristig und somit nachhaltig zu planen.
Der Auslandsdienst
Der Auslands-Dienst wurde 1992 durch den Politik-Wissenschafter Dr. Andreas Maislinger ermöglicht, dem es gelang, die damalige Regierung von einem Holocaust-Gedenkdienst zu überzeugen. Sozial- und Friedensdienst erweiterten wenig später das Aufgaben-Spektrum. Heute reichen die Projekte von Geschichts-Recherchen in osteuropäischen Holocaust-Gedenkstätten, zu Wasser-Projekten in Afrika und Kulturarbeit in Südamerika. Die Dienstzeit beträgt 14 Monate. Der größte Trägerverein ist der „Verein für Dienste im Ausland“.
Project Details
- Date 17. September 2016
- Tags Pressearchiv 2005