Israel: Lebensfreude im Schatten der Angst, Tiroler Tageszeitung

24.02.2018

Project Description

Israel: Lebensfreude im Schatten der Angst

Vor 70 Jahren wurde der Staat Israel gegründet. Einblicke in ein außergewöhnliches Land.

Tel Aviv ist eine pulsierende und sympathisch chaotische Stadt.


© APA (dpa/Peer Grimm) Tel Aviv ist eine pulsierende und sympathisch chaotische Stadt.

 Von Matthis Kattnig
Seit Juli 2017 lebe ich als Gedenkdiener in Tel Aviv. Ich kam mit gemischten Gefühlen. Man hört so viel Unterschiedliches über Religionen, Sicherheit, Anschläge, Kultur, Juden, Araber, den Nahost-Konflikt usw. Was wird mich erwarten?

Aller Anfang ist schwer

Zunächst gab es Probleme mit dem Visum. Wie viele andere Freiwillige reiste ich zuerst als Tourist ein, um dann vor Ort ein Freiwilligen-Visum zu beantragen. Leider zog sich das über Monate hin. Nach vielem Hin und Her ging schlussendlich alles gut. Es gab sogar eine Überraschung: Das Sozialministerium lud mich zusammen mit meinem Area-Koordinator Felix Michael Hafner nach Jerusalem ein und entschuldigte sich für die entstandenen Unannehmlichkeiten.

Zur Person

Matthis Kattnig, aktueller Gedenkdiener des Vereins Österreichischer Auslandsdienst in Tel Aviv, berichtet über seine Erfahrungen. matthis.kattnig@auslandsdienst.at

In Israel gelten sehr strenge Sicherheitsvorschriften. Einerseits ist das wegen der Terroranschläge nachvollziehbar, doch andererseits kann es sehr anstrengend werden. Sofern man als Freiwilliger einmal nach Ägypten, Jordanien oder zwischenzeitlich nach Europa reisen möchte — so wie in meinem Fall —, wird einem die Ein- und Ausreise nicht gerade leichtgemacht. Am Flughafen sind drei Stunden einzuplanen. Das gesamte Handgepäck muss geöffnet werden, alles wird kontrolliert und selbst mit Volontär-Visum bleibt einem eine ausführliche Befragung nicht erspart.

Arbeit mit den letzten Zeugen

Ich arbeite im Altenheim Pinchas Rosen Parents Home in Ramat Gan, Tel Aviv. Dort leben 115 Senioren. Ursprünglich war es ein Heim für deutschsprachige Überlebende des Holocaust. Mittlerweile ist deren Anteil stark gesunken. Während früher jedes Programm auf Deutsch veranstaltet wurde und jeder Mitarbeiter Deutsch sprechen konnte, sind die deutschsprachigen Bewohner nun in der Minderheit. Umso mehr freuen sie sich, wenn jemand mit ihnen in ihrer Muttersprache spricht.

Meine Arbeit ist vielfältig. Zum einen helfe ich bei alltäglichen Pflegeaufgaben. Zum anderen besuche ich täglich deutschsprachige Senioren, die vor, während oder nach dem Zweiten Weltkrieg von Europa nach Israel geflohen sind. Ihre Geschichten sind sehr unterschiedlich und zu Herzen gehend. Dies ist der spannendste Teil meiner Arbeit. Da gibt es einen Zeitzeugen, der erzählt, dass die Flucht an sich ein großes Abenteuer war, und einen anderen, der jahrelang in Auschwitz interniert war und damit sein ganzes Leben zu kämpfen hat. Die Gespräche sind äußerst emotional und ich versuche, so gut es geht, mitzufühlen und zu verstehen. Genau das ist ein wesentlicher Teil des Gedenkdienstes: versuchen, zu verstehen, was die Shoa, die Ermordung von sechs Millionen Juden, bedeutet.

Neben dieser Hauptaufgabe kümmere ich mich um das Vorbereiten von Veranstaltungen und dokumentiere sehr gern mit Film und Fotografie, was im Heim passiert.

Israel — ein Leben in Unsicherheit?

Wie lebt es sich also in Israel in dieser schwierigen und unsicheren Zeit? Ich glaube, dass verglichen mit dem, was alles in der Vergangenheit passiert ist, die aktuelle Lage im Großen und Ganzen sicher ist. In Tel Aviv ist es ruhig und ungefährlich. Zwar gibt es Anschläge, aber es sind eben doch sehr wenige, verglichen mit Paris oder Berlin, und daher glaube ich persönlich nicht, dass es hier unsicher ist. Auch in Jerusalem erlebte ich die Lage als ruhig, selbst als Donald Trump im Dezember ankündigte, die US-Botschaft dorthin zu verlegen. Viele Touristen in Jerusalem waren so verschreckt, dass sie eine Zeitlang gewisse Viertel gar nicht mehr betreten haben oder die Reise absagten. Die Händler litten enorm darunter und haben den wenigen Leuten, die sich doch zu ihnen trauten, Geschenke gemacht.

Tel Aviv — modern, innovativ und anstrengend

Was Tel Aviv besonders macht, ist die Tatsache, dass es wohl kaum auf der Welt einen zweiten Ort gibt, wo so viele verschiedene Kulturen, Religionen und Menschen aufeinandertreffen. So gut wie jede Nation ist hier vertreten. Das macht das Leben sehr spannend, aber manchmal auch sehr stressig. Vieles hier folgt dem typischen „Middle-East”-Lifestyle: Dinge werden entspannt angegangen und sind unorganisiert. Ein großes Problem ist der öffentliche Verkehr. Es gibt in Tel Aviv keine U-Bahn oder Straßenbahn. Es bleibt im Prinzip nur der Bus und der ist immer zu spät und steht auch immer im Stau. Gerade wenn man umsteigen muss, kann eine Fahrt von A nach B schon sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Insbesondere, wenn man im Sommer bei 40 Grad in einem überfüllten Bus stundenlang im Stau steht und einfach nichts weitergeht, kann man schon einmal die Nerven verlieren. Eine Besonderheit an Tel Aviv sind die kostenlosen Strände, die Märkte und die vielen Hochhäuser. In der Stadt selbst spürt man auch einen Innovationsgeist, es gibt extrem viele Start-ups und überall haben junge Leute neue Ideen. Von Beginn meiner Zeit an bin ich in Tel Aviv auch in die messianische Immanuel Church in Jaffa gegangen. Das Netzwerk dort hat mir sehr weitergeholfen, auch als ich eine neue Wohnung suchte. Persönlich bin ich fasziniert davon, Orte zu entdecken, von denen in der Bibel berichtet wird, und immer wieder erstaunt, wie viele davon tatsächlich noch existieren. Es lohnt sich daher, in ganz Israel herumzureisen, es ist wirklich ein tolles Land, in dem man viel Unterschiedliches entdecken kann, kilometerlange Strände, spannende Städte, endlose Wüsten und eine beeindruckende Natur.

Es bleibt der ewige Konflikt?

Ich habe viele Juden kennen gelernt und auch viele Araber. Mein Eindruck ist, dass die allermeisten einfach nur in Frieden miteinander leben wollen. Jedoch tun sich beide Seiten mit einer Annäherung schwer. Bedauerlicherweise wird man in jüdischen Familien oft so erzogen, dass die Araber schlecht sind, und umgekehrt genauso. Ein großes Problem ist die Diskriminierung, vor allem bei der Wohnungssuche, wenn etwa ein Araber beschließt, in eine jüdische Stadt zu ziehen, oder ein Jude in eine arabische Stadt. Ich selbst habe in den ersten drei Monaten in Petah Tikva, einer nahezu jüdischen Stadt, gelebt. Mein Mitbewohner war Araber und hatte es nicht gerade leicht.

Freiwilligendienst im Ausland

Es sind wenige, die wirklich Terror oder Krieg wollen. Was ich positiv erlebe, ist, dass oft gerade junge Juden und Araber offener aufeinander zugehen. Zwar glaube ich nicht an eine rasche Lösung des Nahost-Konfliktes. Aber eine neue junge Generation kann durchaus eine gewisse Veränderung bringen. Falls Sie jetzt auch darüber nachdenken, einen Freiwilligen-Dienst in Israel zu machen, kann ich Ihnen nur dazu raten, es jetzt zu tun. Denn die Gelegenheit war nie besser. Ab diesem Herbst gibt es für Freiwillige ein neues Netzwerk, das kostenlose Reisen im Land und Sprachkurse mit Unterstützung des Landes Israel ermöglicht. Glücklicherweise wird der Gedenkdienst (sowie auch der Sozial- und Friedensdienst) immer mehr von der Republik Österreich geschätzt. So ist es nun auch endlich für Frauen möglich, zu den gleichen Bedingungen Freiwilligendienst zu leisten. Es können deutlich mehr Leute als früher entsendet werden. Diese Chance will auch Gedenkdienst-Gründer Andreas Maislinger vom Verein Österreichischer Auslandsdienst nutzen und in den nächsten Jahren mehr Leute nach Israel schicken. Ab Herbst gibt es beim Auslandsdienst in Israel drei Stellen: eine im Altenheim Pinchas Rosen Parents Home, eine in Kooperation mit der Wiener Library am Campus der Universität Tel Aviv und eine in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.

Project Details

  • Date 27. February 2018
  • Tags Pressearchiv 2018
Launch Project

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