“Die baltischen Staaten verbindet eine besonders drastische Okkupationsvergangenheit”

Fabian Hilpert ist der erste Gedenkdiener in Riga, Lettland. Mit Daniel Haim spricht er über seine Motivation für den Gedenkdienst, das Leben in Lettland und Riga und seine nächsten Stationen. Fabian, was waren deine Gründe einen Gedenkdienst zu leisten? Meiner Meinung nach ist gerade aus österreichischer Sicht Gedenkarbeit sehr wichtig. Im Zuge meiner Reisen wurde mir immer wieder vor Augen geführt, dass Österreich im Ausland noch sehr mit der Opferrolle in der NS- Zeit verbunden wird. Auch musste ich dabei auch lernen, dass in anderen Ländern – verständlicherweise – allgemein nicht so viel Aufklärung über die NS-Zeit herrscht wie bei uns. Besonders geprägt hat mich dann mein Auslandssemester 2011 in Moskau: Dort wurde mir klar, dass viele meiner, auch internationalen, Mitstudenten gar nichts über diese Zeit wussten. Während eines Besuches der KZ-Gedenkstätte Auschwitz im selben Jahr war für mich klar, dass ich mich mit diesem Thema noch mehr auseinander setzen wollte. Als ich dann nach Möglichkeiten für einen Auslands-Zivildienst suchte, stieß ich auf den Gedenkdienst des Vereins Österreichischer Auslandsdienst. Wie kamst du auf Riga? Lettland und auch die anderen baltischen Staaten haben eine relativ drastische NS-Vergangenheit, die durch die Übel der zweiten langen Sowjetokkupation in den Hintergrund der Vergangenheitsbewältigung geraten ist. Gerade diese Chance hier tatkräftig mitzuhelfen und unterstützen zu können hat mich motiviert meinen Gedenkdienst als erster Gedenkdiener hier in Riga zu beginnen. Wie sieht deine Arbeit vor Ort aus? Ich arbeite hier sowohl im lettischen Okkupationsmuseum als auch im Museum „Juden in Lettland“. Meine Arbeiten sind sehr vielfältig. Von Übersetzungsarbeiten, über Marketingaufgaben bis hin zu Empfängen und Erklärungen der Ausstellungen mache ich alles, wo meine Arbeit gebraucht wird. Im jüdischen Museum beginne ich zum Beispiel gerade mit der Erstellung einer digitalen Kartei mit den Namen und Infos der hierher deportierten und ermordeten deutschen und österreichischen Juden, was einiges an Nachforschungen erfordert. Bisher ist von den „Deutschen Juden“ leider noch nicht viel bekannt. Oft kommen Anfragen zu einzelnen Schicksalen von Angehörigen aus Österreich oder Deutschland denen wir so vielleicht in Zukunft noch besser nachgehen können. Wie gehen die BewohnerInnen der baltischen Staaten mit ihrer Geschichte um? Findet Gedenkarbeit statt? Das ist eine sehr schwierige Frage, die man eigentlich nicht so einfach beantworten kann. Die baltischen Staaten verbindet eine besonders drastische Okkupationsvergangenheit und diese prägt das heutige Leben in Lettland noch sehr. Die NS-Okkupation steht hier sehr im Schatten der insgesamt viel längeren Sowjetokkupationen. Man muss auch bedenken, dass in Riga ca. 40% Russen leben, die teils schlecht in das lettische Leben integriert sind und Krisen wie in der Ukraine hier natürlich nicht gerade zur Entspannung beitragen. Insgesamt denke ich persönlich, die lettische Bevölkerung kann sich erst intensiv der NS-Vergangenheit stellen, wenn die Sowjetzeit wenigstens zum Teil aufgearbeitet wurde. Man merkt aber, dass hier gerade in letzter Zeit sehr viel in der Aufarbeitung der lettischen Vergangenheit passiert ist und auch jetzt sind viele neue, vielversprechende Projekte für die nächsten Jahre geplant. Zu verdanken ist das vor allem Einzelpersonen, den zwei Museen und guten internationalen Kooperationen. Wie kann man sich jüdisches Leben in Riga heute vorstellen? Das Museum „Juden in Lettland“ befindet sich im Haus der Jüdischen Gemeinde, somit bekommt der Gedenkdiener hier einen guten Einblick in das jüdische Leben. Im Moment leben in Lettland wieder ca. 8000 Juden, damit ist die lettische jüdische Gemeinde einer der größten und aktivsten in Osteuropa. Es gibt eine Synagoge und regelmäßig jüdische Veranstaltungen. Auch gibt es viel internationalen Austausch, immer wieder kommen jüdische Gruppen aus anderen Ländern zu Besuch. Wie gefällt dir Riga sonst so? Riga ist für mich ein sehr entspannender und netter Ort. Gerade die mittelalterliche Altstadt und die Jugendstilarchitektur sind einzigartig. Doch am Abend und gerade am Wochenende verwandelt sich die Altstadt in ein Ausgehviertel mit vielen verschiedenen Möglichkeiten um das lettische Nachtleben zu erkunden und Leute kennen zu lernen. Die Einwohner sind sehr neugierig und freundlich, auch gibt es hier eine sehr nette deutsche und internationale Community. Für mich definitiv ein Ort im raschen Wandel, wo ich noch lange nicht fertig bin und später einmal wieder zurückkommen muss. Abschließend noch: Was sind deine nächsten Stationen? Nach der Zeit in Riga werde ich meinen Gedenkdienst drei Monate in Moskau im „Russian Research and Educational Holocaust Center“ fortsetzen und ab August noch 6 Monate im „Center of Jewish Studies Shanghai“ mithelfen. Auch auf diese Zeit freue ich mich natürlich schon sehr!
Foto: Fabian Hilpert (2. v.r.) mit dem Vorstand des Lettischen Okkupationsmuseums, der Direktorin der Jüdischen Gemeinde, dem Direktor des Museums

Foto: Fabian Hilpert (2. v.r.) mit dem Vorstand des Lettischen Okkupationsmuseums, der Direktorin der Jüdischen Gemeinde, dem Direktor des Museums “Juden in Lettland” und dem österreichischen Botschafter in Lettland Dr. Stefan Pehringer in der Österreichischen Botschaft.

Das lettische Okkupationsmuseum gibt einen Überblick über die beiden Sowjet-Okkupationen und über die Nazi-Okkupation. In der derzeitigen Ausstellung wird man unter Anderem mit den Verbrechen und Deportationen während der Sowjetbesetzungen konfrontiert. Das Museum „Jews in Latvia“ gibt einen guten Einblick in das jüdische Leben und die jüdische Vergangenheit in Lettland. Der neuere Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit dem lettischen Holocaust und dem Leid, welches den jüdischen Menschen hier in der NS-Zeit angetan wurde.