Begräbnis von Andreas Maislinger Senior am 13. Jänner 2007 in St. Georgen bei Salzburg

Mein Vater ist gestorben.
In Sankt Georgen war er der Auwirt‘s Andre, in St. Pantaleon wurde er noch vereinzelt „Mühlberger Andre“ genannt. Mein Vater war aber weder „der Auwirt“ noch „der Mühlberger“, er hatte keinen Rang und keinen Besitz. Aber er war ein bemerkenswerter Mensch.
Er konnte tanzen, er hatte Humor und er war bis zu seiner Erkrankung ein sportlicher, ja athletischer Mann. Einige werden sich an seine akrobatischen Übungen im Sägewerk erinnern. Stockschießen und Kegelscheiben gehörten in der Pension zu seinen Leiden- schaften. Er grub sogar mit eigener Hand direkt vor dem Auwirt eine große Wiese um, damit dort Eisstock geschossen werden konnte.
Mein Vater hatte eine eigene Meinung. Er stimmte nicht immer mit unseren Stammgästen überein. Das hat mich beeindruckt und geprägt. Seine Lebensmaxime lautete: Tue recht und scheue niemand.

Er ist aber nicht groß aufgetreten. Er war bescheiden. Er hatte viele Talente, unter anderem ein großes technisches Geschick.
Nach dem Krieg baute er aus Einzelteilen, die er im Umkreis von 20 km zusammengetragen hatte, einen funktionstüchtigen Traktor.
Mein Vater war aber vor allem ein tiefgläubiger Mensch. Ich habe das schon als Kind bemerkt, als er während der Arbeit inne hielt um zu beten. Wie fundiert sein Glaube war, erfuhr ich jedoch erst, als ich vor einigen Jahren im Altenheim anfing mit ihm in der Bibel zu lesen. Viele Bibelstellen kannte er auswendig. Aber nicht nur das, er hat sie auch verstanden und versucht danach zu leben. Die Bibel war für ihn Lebensgrundlage. Dabei hat er nie selbst darin gelesen. Vielmehr er hat als Kind Pfarrer Veichtlbauer in der Volksschule genau zugehört und als Erwachsener während der Messen die Lesungen in sich aufgenommen.

Mein Bruder Anton und ich sind von unserem Vater nie geschlagen worden. Im Zeitalter der so genannten „gesunden Watschen“ wusste unser Vater bereits, dass Kindererziehung auch anders geht. Da mein Vater auch als Soldat keine Gewalt anwenden wollte und nie auf einen Menschen geschossen hat, haben wir auf dem Sterbezettel aus der Bergpredigt zitiert:

Freuen dürfen sich alle, die auf Gewalt verzichten. (Matthäus 5,5)

Als Buben haben wir Krieg gespielt. Meinem Vater hat das wehgetan. Er hat es uns nicht verboten, aber gefallen hat es ihm nicht.
Er hat die Fliegertauglichkeitsprüfung bestanden und war damit seinem Traum vom Fliegen sehr nahe. Bis ihm klar wurde, wofür die Deutsche Wehrmacht Piloten und anderes Bordpersonal ausbildet. Flugzeuge dienten 1939/40 nicht dem Transport von Urlaubern. Sie dienten dem Überfall auf andere Länder und Völker. Mein Vater sagte daher seinem vorgesetzten Offizier, dass er die Ausbildung nicht fortsetzen möchte. Der Mühlberger Andre wollte nicht in die Luft steigen und auf Menschen schießen und Bomben auf sie werfen. Er war daher bis kurz vor Ende des Krieges auf Feldflughäfen als Fahrer eingesetzt. Dabei war er meist nicht einmal bewaffnet. Erst in den letzten Kriegstagen kam er an die Front nach Berlin. Wie diese letzten Kriegstage verliefen, hat er mir immer und immer wieder erzählt.

Am 11. Jänner 1948 kam mein Vater aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft heim. Genau 59 Jahre später, am 11. Jänner 2007, starb er. Er hat 30 Jahre, in Mühlberg, beim Auwirt und im Sägewerk Ratkowitsch, gearbeitet. 19 Jahre lang konnte er als Pensionist seinen Hobbys nachgehen und sich als weitum bekannter Spezialist für das Schleifen von Sägeblättern ein Taschengeld verdienen.
Die letzten neun Jahre lag er in der Nervenklinik Salzburg und in der Pflegeabteilung des Altenheims Oberndorf. Meine Mutter hat ihn fast jeden Tag besucht und war zuletzt bis zu ihrem Tod am 4. September 2005 mit ihm im Altenheim.

Mein Vater war die letzten Jahre seines Lebens ein Pflegefall. Sein Körper musste betreut werden. Sein Geist blieb frei und beweglich. Er hatte bis zuletzt ein unglaubliches Gedächtnis und klare Bilder, durch die er sich ausdrückte. So sagte er schon vor längerer Zeit zu mir: Mein Zug ist bereits abgefahren. Ich warte darauf, dass er ankommt.

Nun ist sein Zug angekommen.

Dr. Andreas Maislinger